Ein verborgenes Leben - The Secret Scripture

2008 ist der für den begehrten Man Booker Preis nominierte Roman des irischen Autors Sebastian Barry erschienen, 2016 hat sich Regisseur und Drehbuchautor Jim Sheridan („Im Namen des Vaters“, „In Amerika“) des Stoffes seines Landsmannes angenommen, 2018 startet der Film endlich in Deutschland – nicht im Kino, aber als DVD-Premiere. Ein Geheimtipp für alle, die Literaturverfilmungen lieben, aber auch für jene, die gut erzählte, bewegende (Lebens-)Geschichten mögen.

Mehr als 40 Jahre hat Rose in einer psychiatrischen Anstalt verbracht, weil sie Anfang der 1940er Jahre ihr Neugeborenes ermordet haben soll. Nun plant man, das altehrwürdige Gebäude zu einem Hotel umzubauen und die Patienten zu verlegen. Deshalb wird Dr. Grene beauftragt, die Patienten wie eine Art „Inventur“ noch einmal zu untersuchen und über deren Verbleib bzw. Entlassung zu entscheiden. Bei Rose soll der Arzt einfach nur deren Unzurechnungsfähigkeit bestätigen, damit die alte Frau in eine andere Anstalt verlegt werden kann. Denn sie weigert sich vehement, diesen Ort zu verlassen. Schon bald ist Dr. Grene fasziniert von Rose, die Klavier spielt, sich gewählt auszudrücken vermag und immer wieder beteuert, ihren Sohn nicht getötet zu haben. Als er dann in ihrer Bibel blättert und entdeckt, dass die Seiten darin kunstvoll mit ihren Notizen und Zeichnungen übermalt sind, beginnt sich der Arzt mit Roses Fall näher zu befassen. Stück für Stück setzt er ein völlig anderes Bild von ihrem Schicksal zusammen, das mit dem in der Krankenakte wenig zu tun hat. In Wirklichkeit ist es das Schicksal einer jungen, starken Frau, die mit ihrem Anspruch auf eine bedingungslose Liebe in Konflikt mit den moralischen und gesellschaftlichen Regeln des vom Katholizismus geprägten Irlands der 1940er Jahre geraten ist. Als Dr. Grene dann auch noch das letzte Teil in diesem Lebens-Puzzle aufspürt, macht er eine unglaubliche Entdeckung.

Tatsächlich wie in einem Puzzle setzt Regisseur und Drehbuchautor Jim Sheridan durch einzelne Rückblenden diese dramatische Geschichte zusammen. Dabei lässt er den Zuschauer – wie in einem spannend konstruierten Krimi – so nach und nach hinter die wirkliche Lebensgeschichte dieser geheimnisvollen Frau kommen. Dargestellt wird die alte, zerbrechlich und zugleich stark wirkende Frau von der großartigen Oscarpreisträgerin Vanessa Redgrave (Briefe an Julia, Song für Marion) und die junge, eigenwillige von Rooney Mara, die für ihre Rollen in dem US-amerikanischen Remake von Verblendung und in Carol schon zwei Mal für den Oscar nominiert war. Roses Verhängnis begann, als die junge, protestantische Frau nach dem Tod ihrer Eltern in ein verschlafenes irisches Städtchen zieht. Dort wird sie bald schon allein wegen ihres Selbstbewusstseins und weiblichen Stolzes zur Außenseiterin und von den Männern des Ortes, insbesondere dem katholischen Priester Father Gaunt, bedrängt und verfolgt. Als sie sich dann noch in einen englischen, Piloten verliebt und zu ihrer Liebe steht, bekommt Rose die Gewalt und die Macht der irischen Gesellschaft zu spüren. Insofern hat Regisseur Sheridan mit „Ein verborgenes Leben“ nicht nur eine ergreifende Literaturverfilmung mit beeindruckenden Bildern und einer exzellenten Besetzung inszeniert, sondern ein gesellschaftskritisches Drama, das zeigt, was passiert, wenn demokratische Strukturen fehlen und Machtmissbrauch ungesühnt bleibt. Nicht umsonst wurde dieser Film zu vielen internationalen Festivals eingeladen und in Irland mit dem begehrten Irish Film and Television Award 2017 in zwei Kategorien ausgezeichnet.

Barbara Felsmann