Berlin Syndrom

Die junge Australierin Clare (Teresa Palmer) ist allein mit Rucksack und Fotokamera nach Deutschland gekommen und will die Hauptstadt erkunden. Insbesondere Kunst und Architektur interessieren sie in der ehemals geteilten Stadt. Ihre ersten Eindrücke in einem Hostel verheißen Gutes: Junge Leute aus aller Welt sind hier untergebracht und laden sie auch gleich zum abendlichen Treffen auf die Dachterrasse ein. Schon am ersten Tag ist sie an einer Ampel einem jungen Deutschen (Max Riemelt) begegnet, den sie im Buchladen wiedertrifft und sympathisch findet. Zufall? Ein Liebesabenteuer winkt, dem Clare nicht abgeneigt ist. Sie begleitet Andi in dessen Wohnung in einem Hinterhaus, nah der ehemaligen Mauer. Sie lieben sich, Clare bleibt und stellt am nächsten Morgen fest, dass Andi bereits zur Arbeit gegangen ist und sie in der Wohnung eingeschlossen hat. Zufall? Die Wohnungstür ist speziell gesichert, die Fenster sind aus Panzerglas, der Rest des Hinterhauses leer. Das klingt nicht nach Zufall.

Tatsächlich wandelt sich diese Liebesbeziehung von zunächst kleinen Aufmerksamkeiten immer stärker zu gewaltsamen Machtgelüsten. Die junge Frau ist dem wehrlos ausgeliefert. Von der Außenwelt isoliert, kämpft sie mit dem Stockholm-Syndrom, bei dem sich das Opfer mit dem Täter solidarisiert. Die australische Filmemacherin Cate Shortland (Somersault, Lore) setzt in ihrem Psychothriller auf klaustrophobische Effekte und vermittelt dem Zuschauer die gespaltene Persönlichkeit des jungen Mannes, der tagsüber als kollegialer Lehrer und fürsorglicher Sohn auftritt und in der Abgeschiedenheit seiner Wohnung seine finsteren Seiten auslebt. Das fesselt den Zuschauer zunächst, wirft aber alsbald die Frage auf, mit welchem Erkenntnisgewinn man am Ende belohnt wird. Ist es wirklich nicht mehr als die Warnung, nicht mit jedem Fremden gleich nach Hause zu gehen?

Gabi Brandt