Tote Mädchen lügen nicht – 1

Serienstart:
31.03.2017
Staffel:
1
Folgen:
13
Länge der Folgen:
50-62 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
keine Angabe
Regie:
Kyle Patrick Alvarez, Carl Franklin, Helen Shaver, Tom McCarthy, Gregg Araki, Jessica Yu
Darsteller:
Dylan Minnette (Clay Jensen), Katherine Langford (Hannah Baker), Christian Navarro (Tony Padilla), Brandon Flynn (Justin Foley), Alisha Boe (Jessica Davis), Justin Prentice (Bryce Walker), Miles Heizer (Alex Standall), Ross Butler (Zach Dempsey) u.a.
Genre:
Drama , Jugend
Land:
USA, 2017

Ein Schuhkarton mit dreizehn Botschaften aus dem Jenseits, hinterlassen auf sieben Kassetten, liegt eines Tages vor der Tür des 17-jährigen Highschooljungen Clay. Auf ihnen protokolliert seine Freundin und Mitschülerin Hannah Baker 13 Gründe dafür, warum sie sich zwei Wochen zuvor in die Badewanne gelegt und sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Die Frage nach den Gründen für ihren Selbstmord ist jedoch nicht nur das zentrale Handlungselement der aktuell erfolgreichsten Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ (im Original „13 Reasons Why“). Sie ist auch Ausgangspunkt einer intensiven öffentlichen Debatte über das Tabuthema Suizid, die von der Serie angestoßen wurde.

Aber spulen wir zurück zum Anfang und hören, was Hannah Baker, die Protagonistin dieser dramatischen Geschichte zu sagen hat: „Nimm dir was zu Knabbern und mach's dir gemütlich. Denn ich werde dir jetzt die Geschichte meines Lebens erzählen. Genauer gesagt, warum mein Leben ein Ende fand. Und wenn du diese Kassette hörst, dann bist du einer der Gründe dafür!“. Als der schüchterne Clay, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, diese Worte seiner toten Freundin Hannah hört, bedeutet das für ihn den Beginn einer Spurensuche in einer gerade hinter ihm liegenden, traumatischen Vergangenheit. Wie in einem Audioguide nimmt Hannahs Stimme Clay und den Zuschauer mit in die Geschichte ihres Suizids. Jede Seite einer Kassette widmet sich einer Person und führt an jene Orte ihrer amerikanischen Kleinstadt, an denen sich Vorfälle ereignet haben, die in ihrer Verkettung schlussendlich zu Hannahs Selbsttötung führten. Im Stile eines klug konstruierten Thrillers erfährt der Zuschauer immer nur genau so viel wie Clay, wenn er die Kassetten anhört. Hannah berichtet von enttäuschten Hoffnungen, zerbrochenen Freundschaften, Eifersucht, Einsamkeit und Leistungsdruck. Die Kassetten erzählen aber auch von Sexismus, Stalking, (Cyber-)Mobbing, Alkohol und Drogen, Gewalt und Vergewaltigung. Nach und nach setzen sich die Puzzleteile zusammen, die dazu geführt haben, dass Hannah keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich das Leben zu nehmen.

Die Serie wechselt dabei zwischen Szenen, die in der Gegenwart spielen und Rückblenden auf das Leben Hannah Bakers vor ihrem Selbstmord. Im Zentrum beider Handlungsstränge steht der Schulalltag an ihrer Highschool, der von Neid und Missgunst, Machtspielen und Ansehen, Arroganz und Ignoranz, sozialer Ausgrenzung und existenziellen Krisen geprägt ist. In der Gegenwart treibt Clay hilf- und sprachlos in seiner „Welt ohne Hannah Baker“. Zögerlich hört er Kassette um Kassette. Seine Verwirrung und Scham steigern sich mit jeder Folge zu Angst und Wut. In trostlosen Grau- und Blautönen inszeniert die Kamera die Auswirkungen von Hannahs Tod auf ihre Eltern, Clay, ihre Mitschüler und Lehrer als eine Welt der Trauer und Verzweiflung. Unterstützt wird diese Stimmung durch einen famos zusammengestellten, sehr melancholisch düsteren Soundtrack. Die Rückblenden auf das Leben Hannahs werden dagegen farbenfroher gezeichnet. Meist scheint die Sonne, die Highschool erstrahlt in bunten Farben, die Musikauswahl ist etwas rhythmischer und leichter. Auch wenn hier die Gründe für Hannahs Freitod liegen, so finden sich auch Inseln des Glücks – ihre Freundschaft zu Clay, eine zärtliche, unerfüllte Liebe, jugendliche Leichtigkeit auf Partys, die warme Zuneigung ihrer Eltern, der erste Kuss, der Highschool-Ball oder lange Nachmittage mit Freunden im Lieblingscafé.

Folge um Folge entwirrt sich vor den Augen des Zuschauers ein komplexes Beziehungssystem, in dem die Rollen von Tätern, Opfern, Mitläufern und Komplizen bis auf wenige Ausnahmen nie schwarz-weiß gezeichnet werden. Täter werden zu Opfern, Opfer zu Tätern. Hannah ist längst nicht die Einzige in ihrer Schule, deren Leben von Gewalterlebnissen, Sprachlosigkeit, Einsamkeit und Stigmatisierung geprägt wird. Sie ist nicht die Einzige, die in dieser Serie unter Sexismus und sogar Übergriffen zu leiden hat. Und ebenfalls ist sie nicht die Einzige, die Selbstmord als einzigen Ausweg aus ihrer Situation sieht. Hannah erzählt jedoch ihre Geschichte, ihre persönliche Wahrheit, ihre Sicht auf die Dinge, und die weicht ein ums andere Mal von den Erinnerungen Clays und jenen ihrer Mitschüler ab. So wird der Zuschauer bewusst dazu bewegt, zu hinterfragen, wann sie manipuliert, lügt oder übertreibt, wann sie Situationen falsch interpretiert und wo sie selbst versagt. Erst im weiteren Fortschreiten der einzelnen Episoden offenbart sich das Ausmaß der individuellen Verfehlungen. Welche Rolle Clay dabei genau gespielt hat, ist lange Zeit weder ihm noch dem Zuschauer klar. Gerade das macht die Spannung der Serie aus.


HINWEIS


„Diese Serie enthält Szenen, die Zuschauer als verstörend empfinden könnten, darunter explizite Darstellungen von sexueller Nötigung, Drogenmissbrauch und Selbstmord.“ lautet der Warnhinweis, der bei Netflix mittlerweile vor bestimmten Folgen eingeblendet wird. Eine Reaktion auf den zum Teil heftigen Gegenwind, der „Tote Mädchen lügen nicht“, vor allem aufgrund der filmischen Bearbeitung des Suizid-Themas, entgegenwehte. Ärzte, Psychologen, Pädagogen und Gesundheitsorganisationen in aller Welt äußern große Befürchtungen, dass sich Hannahs Entscheidung zum Vorbild genommen werden könnte.

Wenn du unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leidest oder jemanden kennst, der daran leidet, kannst du dir bei der Telefonseelsorge helfen lassen: Telefonisch erreichst du sie unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Anrufen kannst du auch bei „der Nummer gegen Kummer“ (11 6 111). Die Beratung ist anonym und kostenfrei.

Mehr zur Diskussion um „Tote Mädchen lügen nicht“ erfahrt ihr in unserem Blog.

Robert Herfurtner

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (13. Woche 2017).