The Underground Railroad

Prädikat besonders wertvoll
Serienstart:
14.05.2021
Staffel:
1
Folgen:
10
Länge der Folgen:
20-70 Min
Altersempfehlung:
Ab 18 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Regie:
Barry Jenkins
Darsteller:
Thuso Mbedu (Cora), Chase W. Dillon (Harper), Aaron Pierre (Caesar), Joel Edgerton (Ridgeway), Lily Rabe (Ethel), Peter Mullan (Ridgeway Senior), Damon Herriman (Martin)
Genre:
Drama , Literaturverfilmung , Historienfilm
Land:
USA, 2021

„Ich werde uns hier rausbringen!“, flüstert Cora dem Mädchen zu, mit dem sie sich im Dachgebälk versteckt hält. Dieses antwortet: „Ja. Aber wo sollen wir nur hin…?“. Eine Erkenntnis, die die in „The Underground Railroad“ dargestellte allgemeine Ausweglosigkeit ziemlich auf den Punkt bringt. Nach seinem subtilen Coming-of-Age-Drama „Moonlight“ (drei Oscars, inklusive „Bester Film“) und der ebenso meisterhaften Verfilmung des James Baldwin-Romans „If Beale Street Could Talk“ stürzte sich Barry Jenkins auf den Roman „The Underground Railroad“ des afroamerikanischen Schriftstellers Colson Whitehead. Seine Adaption ist angesichts der melancholischen Vorgängerfilme ein ungleich wütenderes und – sprechen wir es ruhig aus – pessimistischeres Manifest gegen Gewalt und Unterdrückung.


Worum es in der Miniserie „The Underground Railroad“ geht:


Cora steht auf einer Baumwollplantage in Georgia, Mitte 19. Jahrhundert, wo sie unter dem Regiment sadistischer weißer Herren zur Arbeit angetrieben wird. Der Alltag der schwarzen Sklav*innen, zu denen Cora zählt, ist zäh und von Erniedrigungen geprägt. Gerne statten die Gutsherren ihren Leibeigenen Besuche in den armseligen Baracken ab, wo sie ihre grausamen Scherze mit ihnen treiben. Wer es wagt, zu fliehen, wird wieder eingefangen und vor aller Augen zu Tode gezüchtigt. An eine Flucht denkt Cora zuerst gar nicht, als ihr der stolze Caesar, der es satt ist, sich wie „Vieh“ behandeln zu lassen, seinen wagemutigen Plan unterbreitet. Auch nachdem Cora selbst ausgepeitscht wird, zögert sie. Erst, als die Sklav*innen gemeinsam der öffentlichen Hinrichtung eines eingefangenen Flüchtigen beiwohnen müssen, regt sich auch in Cora der Wille, den unmenschlichen Zuständen zu entkommen.

Im Schutz der Nacht nehmen Cora und Caesar Reißaus. Bald schon heftet sich aber auch der hartnäckige Ridgeway (Joel Edgerton) an ihre Fersen. Eine unerbittliche Hetzjagd nimmt ihren Anfang. Mithilfe eines geheimen Netzwerks von Abolitionisten – einer Bewegung, die die Sklaverei abschaffen will – finden Cora und Caesar heraus, was es mit der mysteriösen „Untergrundbahn“ auf sich hat: Diese ist ein sprichwörtlicher Zug, der unterhalb der Südstaaten Sklav*innen auf der Flucht einem „besseren“ Schicksal zuführen soll. Doch bringt sie dieser wirklich der ersehnten Freiheit näher?


Was die Miniserie „The Underground Railroad“ außergewöhnlich macht:


Von Bäumen baumelnde Körper, lebendig verbrennende Menschen oder durch Peitschenhiebe zerfetztes Fleisch – es wird nicht an drastischen Bildern gespart. Dass diese nicht zum reinen Selbstzweck verkommen, ist der intelligenten Erzählweise zu verdanken: Der titelgebende Untergrundzug bringt Cora von einer Station zur nächsten, ohne dass sie wirklichen Einfluss auf ihre Reiseziele nehmen kann. Jeder Stopp scheint sie der Freiheit erst ein Stückchen näherzubringen, aber nur bis sich die Freundlichkeit der bereitwilligen Helfer*innen als Trugbild entlarvt. Nie wird daran gespart, den Geflüchteten Demut und Dankbarkeit abzuringen. Die Form der Unterdrückung scheint somit nur ausgetauscht durch eine andere, vielleicht sogar perfidere: Etwa auf der ersten Station von Coras und Caesars schmerzvoller Reise, bei der sie in einem Städtchen mit eigenem Wolkenkratzer landen, in dem Schwarze sich frei bewegen dürfen, Schulunterricht genießen und mit Lächeln beschenkt werden. Nur, um später herauszufinden, dass sich hinter dem Wohlwollen ihrer weißen Helfer*innen eigentlich hinterlistige Absichten verbergen...

Kunstwerke sind auch immer Spiegel unserer Gegenwart sowie unserer selbst. Und was Barry Jenkins uns hier vorhält, ist alarmierend: Selbstbestimmung ist stets an Bedingungen gekettet, Fürsorge und Nächstenliebe oft mit Eigennutz belastet, und wer Unterstützung braucht, findet sich schnell als Bevormundete*r wieder. Nicht umsonst wird anfangs auf den literarischen Klassiker „Gullivers Reisen“ verwiesen, in dem Autor Jonathan Swift satirisch die gesellschaftliche Moral seiner Zeit auf den Prüfstand stellte. Coras unheilvolle und teils mit fantastischen Elementen angereicherte Irrfahrt (den Untergrundzug hat es zum Beispiel in seiner sprichwörtlichen Form in Wahrheit nie gegeben) wirft ähnlich universelle Fragen auf: Was bedeutet wahrhaftige Hilfe? Bis zu welchem Grad ist unsere Gesellschaft bereit, Bequemlichkeiten aufzugeben? Inwieweit muss sie sich hinterfragen und neu bemessen? Und wie lassen sich rassistische Gewalterfahrungen in etwas Positives umwandeln?

Am prägnantesten jedoch ist und bleibt Barry Jenkins' illusionslose Offenlegung von Machtstrukturen sowie ihres sozialen und psychischen Nährbodens. Hierbei weidet er sich nie an den Grausamkeiten, die Menschen einander anzutun in der Lage sind. Er geht allerdings auch nicht gerade zimperlich bei der Darstellung ebendieser vor. So kommt es, dass „The Underground Railroad“ mit krassen Szenen aufwartet und von Zartbesaiteten besser gemieden werden sollte. Wer sich aber einlässt auf diese Odyssee quer durch die Abgründe der (un)menschlichen Natur, wird belohnt mit einem visuell opulenten Meisterstück seriellen Erzählens!

Nathanael Brohammer

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Sprachen: Englisch

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (19. Woche 2021).