The Other Lamb

Länge:
93 Minuten (Blu-ray: 97 Minuten)
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Regie:
Małgorzata Szumowska
Darsteller:
Raffey Cassidy (Selah), Michiel Huisman (Hirte), Denise Gough (Sarah), Kelly Campbell (Hannah), Ailbhe Cowley (Tamar) u. a.
Genre:
Thriller , Drama , Horror
Land:
Irland, Belgien, USA, 2019

„Gib uns Kontrolle über dein Leben, und wir zeigen dir den Weg zur ultimativen Weisheit und zum absoluten Glück!“ – Mit diesem oder einem ähnlichen Versprechen wenden sich nicht wenige religiöse Gemeinschaften an Menschen, die verzweifelt nach Halt und Antworten auf komplexe Fragen und Probleme suchen. Dass hinter der Fassade vieler sektenartiger Gruppierungen Abgründe lauern, wissen wir nicht nur aus journalistischen Beiträgen. Auch Spielfilme und Serien erzählen gerne von fragwürdigen Kults und gefährlichen Kommunen. In ihrem englischsprachigen Debüt „The Other Lamb“ nimmt sich die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska eben dieses Thema vor – behandelt es allerdings auf sehr eigenwillige Weise.


Worum es in „The Other Lamb“ geht:


Seit ihrer Geburt, bei der ihre Mutter verstarb, lebt Selah in einer von der Außenwelt abgeschotteten, moderne Hilfsmittel ablehnenden Gemeinschaft von Frauen. An ihrer Spitze steht der einzige Mann, den alle nur ehrfürchtig „Hirte“ nennen. Die Farbe der Kleidung verrät, zu welcher der zwei Gruppen man innerhalb der kleinen Gefolgschaft gehört. Blau tragen die jüngeren „Schwestern“. Und Rot ist den „Ehefrauen“ vorbehalten, mit denen der Anführer Sex hat und neue Kinder zeugt. Die manchmal aneckende Selah ist noch Teil der ersten Fraktion, befindet sich aber kurz vor dem Übergang. Ausgerechnet jetzt muss die Sekte auf Druck der Behörden ihren aktuellen Wohnort irgendwo im amerikanischen Niemandsland verlassen und sich nach einem neuen Zuhause umsehen. Während der beschwerlichen Wanderung kommen Selah erste Zweifel an ihrem Oberhaupt. Auch, weil sie erschütternde Informationen von Sarah erhält, die wegen einer nicht näher benannten Sünde zur Strafe von den anderen isoliert wird.


Ist „The Other Lamb“ einen Blick wert?


Drastische Gewaltausbrüche braucht es nicht, um rasch zu begreifen, dass der Hirte ein ebenso furchteinflößendes wie effizientes Unterdrückungs- und Missbrauchssystem errichtet hat. Arbeiten müssen die Frauen. Geschichten erzählen darf nur er. Und den obligatorischen Sex leitet er mit der verharmlosenden Frage „Akzeptierst du meine Gnade?“ ein. Verstörend ist in diesem Zusammenhang auch, dass er Inzest zum Überlebensprinzip der Gruppe macht. Alle Schwestern, mit denen er irgendwann schlafen wird, sind immerhin seine Töchter. An der Hackordnung in der Gemeinschaft gibt es nichts zu rütteln, wobei die Einteilung der Jüngerinnen durchaus Neid und Missgunst befeuert. Selah, die anfangs noch gebannt an den Lippen des Hirten hängt, regt sich etwa in einer Szene über das Machtgefälle zwischen ihr und einer ungefähr gleichaltrigen Ehefrau auf. Wie in so vielen zwielichtigen Sekten scharrt der Guru vor allem Menschen um sich, die in ihrem Leben heftig aus der Bahn geworfen wurden und auf der Suche nach Geborgenheit waren. Die konsequente Abkehr von der Gesellschaft dient in Wahrheit nicht der seelischen Stärkung der Mitgliederinnen, sondern schafft ein gefährliches Abhängigkeitsverhältnis. Selbst die aufmüpfige Sarah gibt zu, nach all den Jahren unter der Führung des Hirten Angst vor der Welt da draußen zu haben.

„The Other Lamb“ arbeitet mit Bildern und Stilmitteln des Horrorkinos. Selahs langsamer Prozess des Umdenkens unterläuft aber immer wieder Genreregeln und -erwartungen. Ihre Geduld einfordernde Emanzipationsgeschichte lädt Małgorzata Szumowska mit vielen ausdrucksstarken, symbolträchtigen Naturbildern auf und beschwört eine seltsam unwirkliche Stimmung. In einigen Momenten nimmt der Wunsch, anspruchsvolle Filmkunst abzuliefern, allerdings überhand. Wie heißt es so schön: Weniger ist manchmal mehr! Auch wenn das erwartbare Ende in seiner ungewöhnlichen Aufmachung fasziniert, wäre man der von Raffey Cassidy mit starkem Mienenspiel verkörperten Protagonistin auf ihrer Reise gerne noch etwas näher gekommen. Wie man den Ausbruch aus einer von Missbrauch und männlicher Vorherrschaft geprägten Gemeinschaft durchgängig aufwühlend verpackt, zeigt der Psychothriller „Martha Marcy May Marlene“. Im direkten Vergleich wirkt er emotional deutlich stärker nach als Szumowskas visuell und atmosphärisch zweifellos eindrucksvoller Sektenalbtraum.

Christopher Diekhaus

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Sprachen: Deutsch, Englisch

Untertitel: Deutsch

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Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (25. Woche 2022).