The Black Phone – Sprich nie mit Fremden

Länge:
103 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Kinostart:
23.06.2022
Regie:
Scott Derrickson
Darsteller:
Mason Thames (Finney), Madeleine McGraw (Gwen), Ethan Hawke (Der Greifer), Jeremy Davies (Vater), James Ransone (Max) u. a.
Genre:
Thriller , Horror , Literaturverfilmung
Land:
USA, 2021

Wie der Vater, so der Sohn?! Zumindest in diesem Fall passt der Spruch: Denn Stephen King liebt das Horrorgenre – und auch sein Sohn Joseph Hillström King fühlt sich offenbar im Schauerkosmos ziemlich wohl. Unter dem Pseudonym Joe Hill verfasste er bereits mehrere gruselige Romane und Erzählungen, von denen manche, etwa „Horns“, verfilmt wurden. Scott Derricksons übernatürlicher Vorstadtthriller „The Black Phone“ basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte Hills und erinnert, wahrscheinlich nicht von ungefähr, an Stephen Kings berühmten Schocker „Es“ und dessen zweiteilige Kinoadaption durch Andy Muschietti.


Wovon „The Black Phone“ handelt:


1978, im Norden Denvers: Angst geht auf den Straßen um, seit ein rätselhafter, von allen nur „Der Greifer“ genannter Kidnapper sein Unwesen treibt. Mehrere Jungen hat er schon in seine Gewalt gebracht und, was bislang niemand weiß, ermordet und verscharrt. Auch der 13-jährige Finney wird mit dem Grauen konfrontiert. Denn sein einziger und bester Freund, der ihm die Bullys in der Schule vom Hals hält, ist plötzlich spurlos verschwunden. Kurz darauf kommt es noch dicker: Auf einmal steht der zurückhaltende Teenager selbst dem Serienmörder gegenüber. In einem Kellerverlies scheint Finney dem sicheren Tod entgegenzublicken. Doch dann klingelt unverhofft ein eigentlich kaputtes Telefon an der Wand. Am anderen Ende: Der Geist eines der früheren Greifer-Opfer, der dem Eingesperrten hilfreiche Fluchttipps geben kann. Parallel will Finneys kleine Schwester Gwen ihren Bruder finden und vertraut auf ihre übersinnlichen Fähigkeiten. Immerhin hat sie in ihren Träumen bereits mehrere Hinweise zu den vorherigen Taten des Killers erhalten.


Warum „The Black Phone“ trotz Schwächen funktioniert:


Keine Frage, der Film hat seine Macken und wirkt am Ende etwas unrund. Scott Derrickson und Koautor C. Robert Cargill gelingt es nämlich nicht, alle Handlungsfäden sauber ineinanderfließen zu lassen. Holprig wirkt neben dem Strang um Gwen auch der Nebenplot um den Bruder des Mörders, der sich als Hobbydetektiv ausprobiert. Was zudem negativ auffällt: Finneys Entwicklung vom schüchternen Gemobbten zum wild entschlossenen Überlebenskämpfer wird im Dialog mehrfach überdeutlich ausbuchstabiert. Dabei lässt sich sein langsamer Wandel auch ohne große Schlagworte gut nachvollziehen.

Dass diese Schwächen die Wirkung von „The Black Phone“ nur leicht beeinflussen, hat mehrere Gründe: Von Anfang an schafft es der Regisseur, ein Klima der Bedrohung aufzubauen, das mit Finneys Entführung immer bedrückender wird. Seine Gefangenschaft und seine Ausbruchsversuche liefern ausreichend Stoff für schaurige und spannende Momente, in denen man dem Protagonisten ordentlich die Daumen drücken kann. Erfreulicherweise greift Derrickson nur selten auf sogenannte jump scares zurück. Laute, plötzlich hervorbrechende Geisterbahneffekte, die das Horrorkino Hollywoods heutzutage bestimmen. „The Black Phone“ setzt hingegen vor allem atmosphärische Akzente und auf die furchteinflößende Ausstrahlung des bizarre Masken tragenden Bösewichts. Über den Killer und seine Motive erfahren wir wenig bis nichts. Nach dem Film bleibt einem Ethan Hawkes unberechenbare Performance aber sehr wohl in Erinnerung. Zu den Stärken des übernatürlichen Thrillers gehört nicht zuletzt das auf unterschiedlichen Ebenen beschworene Gemeinschaftsgefühl – womit wir wieder beim Anfang dieses Textes wären. Stephen Kings Roman „Es“ und dessen Verfilmungen leben vom Zusammenhalt der Hauptfiguren gegen das Böse. Ähnlich sieht es hier aus. Gwen und Finney stehen sich nahe, unterstützen sich, wo es nur geht. Auch, weil sie zu Hause unter einem alkoholsüchtigen und gewalttätigen Vater leiden, den der tragische Tod seiner Frau völlig aus der Bahn geworfen hat. Überraschende Solidarität erfährt der 13-Jährige außerdem im Keller des Entführers, wenn ihn die Ermordeten aus dem Jenseits mit Ratschlägen versorgen. Ein cleverer Kniff, der schon der literarischen Vorlage eine reizvolle Note verliehen hat.

Christopher Diekhaus