M’entends-tu? (Staffel 1)

Serienstart:
04.06.2020
Staffel:
1
Folgen:
10
Länge der Folgen:
22 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
keine Angabe
Regie:
Miryam Bouchard, Charles-Olivier Michaud
Darsteller:
Florence Longpré (Ada), Mélissa Bédard (Fabiola), Ève Landry (Carolanne), Mehdi Bousaidan (Nassim), Sophie Desmarais (Amélie), Nicolas Michon (Marcel), Christian Bégin (Pretzel) u. a.
Genre:
Comedy , Drama
Land:
Kanada, 2018
„Du kannst nicht alles in dir drin behalten, sonst explodierst du“, sagt Ada zu ihrer Freundin Caro, die kaum noch redet und sich in Büchern und kiffendem Schweigen vergräbt, seit ihr Freund sie geschwängert hat. Das wissen die Freundinnen aber noch nicht. Ada, Fabiola und Caro kennen sich schon lange und halten in allen Lebenslagen zusammen. Die Chemie zwischen den drei Schauspielerinnen ist das, was die hierzulande wenig bekannte kanadische Serie „M'entends-tu?“ (englisch „Can you hear me?“) trägt.

Was dich in „M’entends-tu?“ erwartet?


Ein schäbiger Vorort des sonst so wohlhabenden Montreals. Hier haut dir das Leben beständig in die Fresse, so würde es Ada wohl formulieren. Sie hat eine Impulskontrollstörung und muss sich einer Wuttherapie unterziehen. Unfreiwillig, sie will nur der Verurteilung entgehen. Irgendwem hat sie ein Hamburgerbrötchen ins Gesicht gehauen – Kieferbruch. Am Anfang kann Ada die sorgfältig zurechtgemachte Therapeutin nicht ernst nehmen, irgendwann wird sie jede ihrer Freundinnen einmal zu ihr hinschleifen. Irgendwie hilft es ja doch, über die Dinge zu reden, die man nicht wahrhaben will. Meistens aber lachen Ada, Fabiola und Caro die täglichen Katastrophen in ihrem Leben einfach weg.

Die Drei singen auf der Straße, um ein bisschen Geld zu machen. Ohne mit der Wimper zu zucken nimmt Ada auch Geld für Sex. Dann wieder lässt sie sich vom Chinesen Marcel in einem Lastenfahrrad durch die Gegend kutschieren und reißt die Arme in die Luft, als stünde sie auf der Titanic. Zuhause schläft die alkoholkranke Mutter zwischen den Scherben und Essensresten der Messi-Wohnung. Auch Fabi hat massive Probleme, die Schwester ist drogensüchtig und lässt die kleine Tochter immer wieder allein. Und Caro leidet unter einem Vorfall, über den sie einfach nicht reden kann, bis sie irgendwann hyperventiliert. Dann nimmt sie Ada in den Arm und wiegt sie wie ein Kind, während Fabi einen Gospel anstimmt. Getriebene sind sie alle drei, dabei ist Fabi der Ruhepol des Dreiergespranns. Sie glaubt an Gott und hat es als dicke, schwarze Frau besonders schwer, versucht aber jede noch so kleine Chance zu nutzen. Mutwillig lässt sie sich von ihrem fadenscheinigen Freund ausnutzen, denn sie mag die Liebe, während Ada oft Sex ohne Liebe hat und Caro ihrem Freund nachtrauert, obwohl der ihr etwas Schlimmes angetan hat. Und dann ist da noch Nassim, der neue Barmann, der auf seine zurückhaltende Art Adas wahren Kern sehen kann. Denn unter all ihrer Wut und Obzönität ist Ada ganz weich, aber leider kann das niemand so richtig sehen. Manchmal noch nicht mal die Freundinnen.


Was „M’entends-tu?“ so besonders macht:


Ada ist impulsiv, kaltschnäuzig und öbzön, aber auch fröhlich und lebensfroh. Sie bringt Licht in das Leben ihrer Freundinnen, selbst wenn das Licht meistens ziemlich schal ist. Gespielt wird Ada mit Rasanz, Tiefgang und gut getimten Pointen von der kanadischen Schauspielerin, Comedian und Autorin Florence Longpré, auf deren Idee auch das Drehbuch zu dieser Netflix Produktion beruht. Ein Glück, dass sich der Streaminganbieter nicht in die Arbeit der Serienmacher einmischt. Denn die Miniserie „M’entends-tu“ ist verdammt gut so (anders) wie sie ist: klein, schmutzig, kaputt und doch voller Leben, temporeich und mit einem passenden rotzigen Soundtrack.

„M’entends-tu“ ist allerdings auch keine leichte Kost. Die Probleme der drei Frauen sind bisweilen unerträglich überwältigend. Und doch ist das alles ebenso zum Lachen wie zum Weinen, eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Das ist die Stärke der Serie, die irgendwo zwischen Komödie und Sozialdrama liegt, eine „Dramedy“ im besten Sinne. Auf jeden kleinen Höhenflug folgt der nächste Tiefschlag, in kurzen Episoden von 22 Minuten wird ein Kosmos gezeigt, der wohl in jeder Stadt der Welt zu finden ist. Das ist oft witzig, oft unkorrekt, manchmal geschmacklos, und trifft doch ins Herz. Die Dialoge sind ganz nah am Leben, nie geschönt, und immer wahr. Die drei Protagonistinnen geben diesen Kämpferinnen gegen eine unwirtliche Umgebung und Zustände, für die sie nichts können, viele Facetten und Tiefe. Das, was die Drei tun oder sagen, ist oft alles andere als nett, aber genau das macht die Figurenzeichnung aus. Vor allem aber vergeht ihnen nie das Lachen, und so vermittelt dieser Serien-Geheimtipp – bei all der krassen Vorkommnisse – jede Menge Mut und Empowerment und die Aufforderung, nicht mit dem Schicksal zu hadern. Irgendwie hat man es ja doch selber in der Hand, das eigene Leben.

Noch nicht genug? Dann mach doch direkt mit der zweiten Staffel von „M’entends-tu“ weiter.

Christiane Radeke

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (23. Woche 2020).