Ema

Länge:
102 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Kinostart:
29.10.2020
Regie:
Pablo Larraín
Darsteller:
Mariana di Girolamo (Ema), Gael García Bernal (Gastón), Santiago Cabrera (Anibal), Paola Giannini (Raquel), Cristián Suárez (Polo)
Genre:
Drama , Musikfilm
Land:
Chile, 2019

In der ersten Einstellung setzt sie eine Ampelanlage auf einer nächtlichen Straße in Valparaiso, Chile, in Flammen. Einfach nur so. Ema brennt, innen wie außen. Sie ist das Kraftfeld des Films. Reggaeton heißt der Tanz, der von der Straße kommt, mit ebenso kraftvollen wie erotisch aufgeladenen Moves zu einem hämmernden Beat. Die Endzwanzigerin mit den kurzen, streng nach hinten gegelten platinblonden Haaren lässt sich nichts sagen, eckt an, verführt Männer wie Frauen. Sie ist verheiratet mit dem ebenso androgynen Choreografen Gastón, der immer wieder versucht Emas impulsive Art in Bahnen zu lenken. Da die beiden kein Kind bekommen können, haben sie den achtjährigen Polo aus Kolumbien adoptiert. Auch er brennt. Mutwillig verbrennt er das Gesicht von Emas Schwester, sodass sie den Jungen daraufhin kurzentschlossen an die Behörden zurückgibt. Es folgt ein Shitstrom gegen die junge Adoptivmutter. Sozialarbeiterin, Freunde, Kollegen – alle können die Entscheidung nicht nachvollziehn, zweifeln ihre mütterlichen Fähigkeiten an. Aber darauf gibt Ema gar nichts. Es folgen heftige Streits mit Gastón, gegenseitige Vorwürfe, Zerwürfnisse. Dann zieht Ema los, um Polo zurück zu holen. Auf ihrem Weg verführt sie eine verheiratete Frau, hat wahllosen Sex bei einer wilden Party mit ihrer Mädchen-Gang und tanzt auf den Straßen der Stadt am Meer.

Der chilenische Regisseur Larraín („No!“„Jackie: Die First Lady“„Neruda“) erzählt in diesem schrill bunten Alltagsmärchen von einer jungen Generation, für die herkömmliche Geschlechter, Zuschreibungen und Familienkonstellationen keine Gültigkeit mehr haben und Grenzüberschreitungen zum Selbstentwurf gehören. Sexualität wird frei und offen gelebt, jede Konvention wird gesprengt. Der Tanz der Straße Reggaeton bebildert dieses Lebensgefühl, roh, aggressiv und selbstermächtigend. Ist Ema herzlos und selbstsüchtig oder tief empfindend und konsequent freigeistig? Sie ist alles zusammen, ebenso wie Gastón an ihrer Seite mitunter verstörend passiv und verstockt wirkt und dann wieder ausgleichend, nachgiebig. Larraín liefert keine Antworten, er zeigt, aber bewertet nicht, er lässt diese Ambivalenzen einfach stehen. So gibt es bei aller emotionalen Explosivität immer einen intellektuellen Überbau, der gleichermaßen die Stärke und Schwäche des schrillen Dramas ist. Die Figuren und ihre Motivationen bleiben fremd, schwer nachvollziehbar in ihrer radikalen Impulsivität. Der Film liefert mehr Draufsicht als Innensicht. Die Tanzszenen sind bunt und originell, aber um als Tanzfilm zu bestehen, hätten bessere Tänzerinnen mit von der Partie sein müssen. Trotzdem stellt der ungewöhnliche Tanzfilm „Ema“eine interessante Erweiterung des Genres dar.

Christiane Radeke