Corpus Christi

Länge:
116 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Kinostart:
03.09.2020
Regie:
Jan Komasa
Darsteller:
Bartosz Bielenia (Daniel), Eliza Rycembel (Eliza), Aleksandra Konieczna (Lidia), Leszek Lichota (Walkiewicz), Tomasz Zietek („Pinczer“)
Genre:
Drama
Land:
Polen, Frankreich, 2019

Dort, wo andere zugrunde gehen, scheint er eine neue Perspektive gefunden zu haben: Mit Inbrunst folgt der im Jugendknast sitzende Daniel den Gottesdiensten des Gefängnispfarrers, den er bei der Vorbereitung regelmäßig unterstützt. Auch er möchte einen theologischen Weg einschlagen, leidet aber unter den Fesseln seiner Vergangenheit. Mit seinen Vorstrafen würde er, so sagt man ihm, nie in ein Priesterseminar aufgenommen. Als Daniel auf Bewährung entlassen wird und in der Provinz eine Stelle in einem Sägewerk antreten soll, sieht er jedoch die Chance gekommen, seinen Wunsch zu realisieren. In einer kleinen Gemeinde gibt er sich erfolgreich als Seelsorger aus, erschleicht sich vorübergehend die Stelle des erkrankten Amtsinhabers und rüttelt seine neuen Schäfchen mit seiner unkonventionellen Arbeitsweise auf. Anders als es der Bürgermeister des Ortes verlangt, widmet sich der falsche Priester auch einem schrecklichen Vorfall, der für Hass und Anspannung unter den Bewohnern gesorgt hat.

Die Prämisse von „Corpus Christi“, die auf einen wahren Fall aus Polen zurückgeht, klingt wie die perfekte Vorlage für eine launige Komödie im Stil von „Sister Act – Eine himmlische Karriere“. Regisseur Jan Komasa (The Hater) und Drehbuchautor Mateusz Pacewicz entwickeln aus der Ausgangslage jedoch ein nachdenklich stimmendes Drama, das zwar gelegentlich humoristische Töne anschlägt, in erster Linie aber von Schuld, Erlösung und heuchlerischer Gläubigkeit erzählt. Dass es dem Zuschauer nicht einfach gemacht wird, lässt schon der raue Gefängnisauftakt erahnen. Daniel kommt aus einer Welt, in der Gewalt ein ständiger Begleiter ist. Und hinter seinem durchdringenden, stechenden Blick lauert eine Wildheit, die jederzeit wieder hervorbrechen könnte. Schön ist vor allem der Einfall, dass ausgerechnet ein vom rechten Weg abgekommener junger Mann als Seelsorger ohne Lizenz heilende Wirkung auf das feindselige Klima in der Gemeinde hat, die ihr eigenes Trauma bislang nicht verarbeiten wollte. Vergeben heißt nicht vergessen, vergeben heißt lieben, lautet einer der stärksten Sätze, die Daniel den vordergründig gottesfürchtigen Menschen entgegenschleudert und damit an die wahren christlichen Werte appelliert. Auch wenn permanent die Frage im Raum steht, ob der Ex-Häftling mit seinem Schwindel auffliegt, erzeugt die eher zurückhaltend gefilmte Hochstaplergeschichte, anders als mancherorts zu lesen ist, keine Spannung im klassischen Thriller-Sinne. Eine enorme Intensität entfaltet jedoch die starke Performance des kantig-charismatischen Hauptdarsteller Bartosz Bielenia, der fraglos entscheidend dazu beitragen hat, dass „Corpus Christi“ eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester internationaler Spielfilm“ einheimsen konnte. Allein sein Auftritt als schwer ausrechenbarer, sich für die Gemeinschaft aufopfernder Laienprediger macht Komasas dritte Regiearbeit zu einer ungewöhnlichen Erfahrung.

Christopher Diekhaus

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