Athena

Länge:
97 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Regie:
Romain Gavras
Darsteller:
Dali Benssalah (Abdel), Sami Slimane (Karim), Anthony Bajon (Jérôme), Ouassini Embarek (Moktar), Alexis Manenti (Sébastien) u. a.
Genre:
Thriller , Action , Drama
Land:
Frankreich, 2022

Schonungslos und mit enormer Wucht taucht das 2019 veröffentlichte Thriller-Drama „Die Wütenden – Les Misérables“ in die Konflikte der stark international geprägten französischen Vorstädte ein. Angeschnitten werden dabei Probleme wie soziale Ungleichheit, polizeiliche Willkür und fehlende Zukunftsperspektiven. Auch die Netflix-Produktion „Athena“, die bei den Filmfestspielen von Venedig ihre Weltpremiere feierte, wirft ein hochexplosives Banlieue-Setting an die Wand und erinnert nicht von ungefähr an den oben erwähnten Film. Immerhin wirkte mit Lady Ly der Regisseur von „Die Wütenden – Les Misérables“ am Drehbuch mit. Eine weitere Gemeinsamkeit: Alexis Manenti, der in Lys Debütarbeit eine der Hauptrollen bekleidet, spielt in „Athena“ eine mysteriöse, zunächst am Rande stehende Figur, die während der Eskalation im letzten Drittel an Einfluss gewinnt.


Worum es in „Athena“ geht:


Videoaufnahmen, die zeigen, wie der 13-jährige Idir von Polizisten zu Tode geprügelt wird, heizen die Stimmung in der Hochhausiedlung Athena schlagartig an. Ganz unterschiedlich gehen die drei Brüder des Jungen mit der Situation um: Abdel, ein hochdekorierter Soldat, ruft im Namen der Behörden zu Besonnenheit auf und glaubt, dass die internen Ermittlungen die Schuldigen zu Tage fördern werden. Der jüngere Karim wiederum ist von Zorn zerfressen, attackiert mit anderen Jugendlichen ein Polizeirevier und bereitet sich nach der Rückkehr in das zu einer Festung umgebaute Viertel auf den Kampf mit den Ordnungskräften vor. Moktar, ein Krimineller und der Älteste im Bunde, schäumt über die sich rasch zuspitzende Belagerung und will einfach nur sein Drogengeld und seine Waffen sicher aus dem Hochhauskomplex hinausschleusen. Im Laufe der bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen kreuzen sich die Wege der Geschwister auf fatale Weise.


Warum „Athena“ fesselt:


Viel Zeit zum Eingewöhnen lässt uns Regisseur Romain Gavras nicht. Schon kurz nach dem Start knallt es in seinem dritten Spielfilm gewaltig. Unvermittelt werden wir in das Chaos beim Angriff auf die Polizeistation hineingeschleudert und rettungslos mitgerissen, da es keine Möglichkeit zum Durchschnaufen gibt. In einer minutenlangen, fließenden, ohne Schnitt auskommenden Szene verfolgen wir die gewaltsamen Auseinandersetzungen, springen mit Anführer Karim in einen Fluchtwagen und rasen in Richtung Athena. Die Intensität ist gleich am Anschlag, und besonders rückblickend ist die Neugier groß, wie die Macher*innen diesen logistisch hochkomplexen Auftakt überhaupt bewerkstelligen konnten. Überall im Bildausschnitt passiert etwas, zahlreiche Personen laufen durch die Gegend, zerstören Inventar, und dann geht es sogar noch hinaus auf die Straße. Auch im weiteren Verlauf verliert die Inszenierung ihre hohe Energie nicht. Die Action fühlt sich rau und authentisch an, obwohl hinter den agilen Bewegungen der Kamera natürlich eine ausgeklügelte Planung steckt.

Eine Sogwirkung erzeugt „Athena“ außerdem, weil die Hauptdarsteller an die emotionalen Grenzen gehen und sich die Handlung fast in Echtzeit abspielt. Dramatisch unterfüttert wird die in mehrere Perspektiven eintauchende Geschichte durch die Konflikte und gegensätzlichen Standpunkte der Brüder – wobei ein zentraler Sinneswandel nicht umbedingt überrascht. Aus dem adrenalingetränkten Treiben stechen allerdings ab und an Augenblicke des Innehaltens hervor. Momente, die dem Schmerz über Idirs Verlust Raum geben.

Zu tun haben wir es hier mit einem Film, der gesellschaftliche Probleme nicht erklären oder durchdringen will, sondern vor allem das Ziel verfolgt, die Wut und die Verzweiflung in den Banlieues konkret erlebbar zu machen. Unverständlich ist, warum sich Regisseur Gavras am Ende dazu entschließt, die Hintergründe von Idirs Tod genauer aufzulösen. Sein warnendes Statement mag gut gemeint sein. Die Klarheit raubt der Erzählung allerdings ein Stück ihrer beunruhigenden Kraft.

Christopher Diekhaus

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (38. Woche 2022).