Neandertal

Guido ist 17, kommt aus einer normalen Familie, ist angepasst und gewissenhaft. Und er leidet an einer schweren Neurodermitis, einem immensen Juckreiz, der ihn immer wieder dazu bringt, sich die Haut vom Körper zu kratzen. Alles hat er schon versucht, um diese Krankheit loszuwerden, von traditionellen Medikamenten über Hausmittel bis hin zu esoterischen Heilmethoden. Gebracht aber hat es nichts. Als er nach einem besonders schweren Schub nach den Ursachen sucht, erwischt er seinen Vater bei einem Seitensprung mit der Mutter seines besten Freundes. Wie ein Kartenhaus bricht Guidos Welt zusammen und all die Verlogenheiten in seiner Familie treten zu Tage. Der junge Mann packt seine Sachen und zieht in die WG seines Bruders. Dort lernt er auch den Lebenskünstler Rudi kennen. Fasziniert von dessen Rücksichtslosigkeit beginnt Guido, nun auch egoistischer zu werden. Und siehe da: Die Haut bessert sich. Aber auch Rudis wilder Lebensstil birgt Gefahren, denn er kennt kein Maß.

Die Ursachen für Neurodermitis, im Ausland auch als „deutsche Krankheit“ bekannt, liegen nach den Regisseuren Ingo Haeb und Jan-Christoph Glaser vor allem in der Psyche. Die Haut drückt aus, was sonst so erfolgreich verdrängt wird. Im Falle von Guido steht der schöne Schein der Familie in krassem Widerspruch zu dem unehrlichen Verhalten der Eltern, das auch ihre Söhne belastet. Der Film folgt Guido – besetzt mit dem preisgekrönten Nachwuchsschauspieler Jacob Matschenz ("Das Lächeln der Tiefseefische", "Die Welle") - bei seinen Experimenten, ein neues Selbstbild und neue, bessere Vorbilder zu finden. Die Lösung wirkt zunächst seltsam, weil nicht Toleranz und Mitgefühl die Heilung bringt, sondern Egoismus, Ausgelassenheit und Rücksichtslosigkeit. Gerade diese komplexen Zusammenhänge und Widersprüche sowie die Entscheidung, kein Krankheitsdrama, sondern eine visuell außergewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte zu inszenieren, machen „Neandertal“ zu einem interessanten Film für ältere Jugendliche. In diesem Alter sind auch die drastischen Szenen zu verkraften, in denen Guido tatsächlich versucht, aus seiner Haut zu fahren.

Sprache: Deutsch

Stefan Stiletto