Tenet

Prädikat besonders wertvoll
Länge:
150 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 12 Jahren
Kinostart:
26.08.2020
Regie:
Christopher Nolan
Darsteller:
John D. Washington (The Protagonist), Robert Pattinson (Neil), Kenneth Branagh (Andrei Sator), Elizabeth Debicki (Kat), Aaron Taylor-Johnson (Junior) u. a.
Genre:
Action , Science-Fiction
Land:
USA, 2020

„Versuche nicht, es zu verstehen. Fühle es.‟ Diese Anweisung erhält der namenlos Geheimagent in Christopher Nolans neuem Film „Tenet‟, als ein Wissenschaftler ihm erklärt, dass es Gegenstände und Menschen gibt, die sich in der Zeit rückwärts bewegen können. Kurzum: Die normale Wahrnehmung von Zeit sollte man für den Verlauf des Films besser auf Eis legen. Und mehr, als dass es einen ziemlich fiesen Typen gibt, der sich diese Technik aus der Zukunft zunutze macht und deswegen an seinen Plänen gehindert werden soll, muss man eigentlich über diesen Film vorab auch nicht wissen. Es ist sogar so, dass eine brave Nacherzählung der Handlung viel von dem Zauber, ja von der Wucht dieses Zeitreise-Action-Spektakels kaputt machen würde. Folgen wir also dem Rat des Films selbst und erzählen lieber, wie „Tenet‟ sich anfühlt. Wir erfahren nicht viel über die namenlose Hauptfigur. Sie ist einfach da. Und sie hat eine Mission.

Atemlos springt der Film zu Beginn von Schauplatz zu Schauplatz, von Kiew nach Mumbai, von der Küste vor Pompeji nach Oslo, wirft mit Namen um sich, hüpft von einer Szene zur nächsten, sodass man manchmal sogar an einen Filmfehler glauben könnte. Nichts an „Tenet‟ wirkt zu lang. Die Szenen sind so messerscharf geschnitten, dass keine Sekunde vergeudet wird. Das ist gerade zu Beginn unglaublich anstrengend, weil der Film seinem Publikum keine Zeit zur Orientierung lässt. Schon nach wenigen Sekunden nimmt die erste Actionszene ihren Lauf und stürzt das Publikum in eine Welt, in der es sich dann entweder zurechtfindet oder heillos verliert. Nolan hat keine Zeit zu verlieren – und doch geht es genau darum in seinem neuen Film: Um Zeit. Um die Zeit bis zu einer riesigen Katastrophe, um Geheimagenten, die die Welt retten sollen, um Zeit, die sich wie gewohnt nach vorne bewegt, um Zeit, die rückwärts läuft (und manchmal sogar vorwärts und rückwärts gleichzeitig!), um Zeitreisen in die Vergangenheit, um die Zukunft zu retten, und die Zukunft, die es geben muss, weil es die Gegenwart sonst nicht gäbe. Wir sehen Vögel, die rückwärts fliegen, Feuer, das sich in Eis verwandelt, Menschen, die rückwärts sprechen, Kugeln, die zurück in die Pistolen fliegen. Und mittendrin in diesem ganzen Kuddelmuddel gibt es, wie schon in „Inception‟ und „Interstellar‟ etwas ganz Bodenständiges: Menschen, die leiden und lieben. Dabei kann man Nolan schon wieder vorwerfen, dass das mit dem Herz in seinen Filmen nie so recht funktionieren will. Die Menschen, die wir sehen, nehmen uns mit auf eine Reise, ohne uns großartig für sich einzunehmen. Das muss man in Kauf nehmen. Aber dafür liefert Nolan auf mittlerweile sehr verlässliche Art immer wieder neue visionäre Filme ab, die die Grenzen dessen sprengen, was sonst im Blockbuster-Kino geboten wird.

„Tenet‟ ist ein Film zum Spüren. Der Soundtrack, diesmal nicht von Hans Zimmer komponiert, sondern von Ludwig Göransson, dröhnt und wummert, wie es nur im Kino möglich ist und wenn Christopher Nolan es könnte, dann würde er wohl jedem Kino persönlich verbieten, seine Filme auch nur einen Tick zu leise zu spielen. Und weil „Tenet‟ auf Filmmaterial gedreht wurde, wirkt er nicht so sauber und steril wie das übliche digitale Kino, sondern irgendwie greifbarer. Auch „Tenet‟ lässt sich nicht leicht, mal eben so nebenbei weggucken. Er zwingt zum Aufpassen, zum Mitdenken, zum Eintauchen in die Logik des Films mit all ihren Zeitsprüngen. Das wirkt ein wenig wie die Speed-Variante von „Memento‟, dem frühen Klassiker von Nolan, indem er die Geschichte eines Gedächtnisverlusts vom Ende bis zum Anfang zurückerzählt hat. „Tenet‟ ist ein hochunterhaltsamer, trotz der stolzen Laufzeit von knapp zweieinhalb Stunden atemloser Mindfuck, der am Ende sogar noch ein wenig dazu anregt, über den Menschen und die Welt nachzudenken. Und der, verflucht noch mal, dazu herausfordert, ihn noch ein weiteres Mal zu sehen, um ihn zu verstehen – und dabei am besten manchmal auf die Pausetaste zu drücken. Denn ob Nolan nun ein begnadeter Erzähler ist, der sein Publikum fordert, oder sich einfach nur in seinen eigenen Zeitebenen verheddert hat, das lässt sich nicht so einfach sagen.

Stefan Stiletto