Sibel

Länge:
95 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 12 Jahren
Kinostart:
27.12.2018
Regie:
Guillaume Giovanetti, Çağla Zencirci
Darsteller:
Damla Sönmez (Sibel), Emin Gürsoy (Emin), Erkan Kolçak Köstendil (Ali), Elit İşcan (Fatma), Meral Çetinkaya (Narin) u. a.
Genre:
Drama
Land:
Deutschland, Frankreich, Türkei, Luxemburg, 2018

In dem abgelegenen türkischen Bergdorf Kusköy in der Nähe des Schwarzen Meeres verständigen sich die Einwohner über größere Entfernungen hinweg bis heute in einer Pfeifsprache, die ganze Satzkonstruktionen erlaubt. Dank dieser Pfeifsprache kann sich auch die junge Sibel verständigen, die ansonsten stumm ist und daher in der eingeschworenen Dorfgemeinschaft als extreme Außenseiterin gilt. Ihr alleinerziehender Vater hält der Bürgermeister des Ortes seine schützende Hand über sie, während die noch minderjährige Schwester möglichst bald verheiratet werden soll. Wenn Sibel nicht gerade in der Landwirtschaft mithelfen muss, streift sie, bewaffnet mit einem vom Vater geschenkten Gewehr, durch die wilde Natur. Sie möchte unbedingt den Wolf aufspüren und töten, der angeblich das Dorf und das Zuchtvieh bedroht. Mit dieser Heldentat hofft sie, endlich von den anderen anerkannt zu werden. Bei einem ihrer Streifzüge entdeckt sie den verletzten Soldaten Ali, der desertiert ist und von der Polizei gesucht wird. Trotz gegenseitigem Misstrauen nähern sich die beiden an. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfährt Sibel so etwas wie Respekt, körperliche Nähe und sexuelles Erwachen. Eine solche Beziehung ist undenkbar für die anderen Dorfbewohner. Doch Sibel ist nicht mehr bereit, dies einfach hinzunehmen, und beginnt zu rebellieren.

In dieser patriarchalischen Gesellschaft, in der allein Sibel aufgrund ihres Handicaps ein Stück Unabhängigkeit leben darf, wird alles von den Männern geregelt und bis ins kleinste Detail bestimmt. Das betrifft sogar die Träume der Frauen, etwa über den bösen Wolf, der zum Mythos wird, um die eigentlich starken Frauen davon abzuhalten, sich zu weit vom Dorf zu entfernen. Selbst für Sibels schrittweise Emanzipation sind zunächst die Männer zuständig, der vergleichsweise modern eingestellte Vater zuerst, dann Ali, der wie Sibel als Fremder betrachtet und behandelt wird. Beide sind nicht bereit, die überkommenen Strukturen noch länger mitzutragen. Bewusst vermeidet der Film eine direkte politische Stellungnahme zur Situation in der Türkei. Das türkisch-französische Ehepaar Çağla Zencirci & Guillaume Giovanetti, das seit 2014 gemeinsam Filme dreht, hat seinen dritten Spielfilm vielmehr als eine universelle Parabel gestaltet, in der Kommunikation bei der Überwindung von Grenzen aller Art eine besondere Rolle spielt. Schade nur, dass die häufig eingesetzte Pfeifsprache für westlich geprägte Ohren etwas gewöhnungsbedürftig ist, obwohl sie auch fasziniert.

Holger Twele

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