Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Länge:
100 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 0 Jahren
Regie:
Julian Radlmaier
Darsteller:
Julian Radlmaier (Julian), Deragh Campbell (Camille), Kyung-Taek Lie (Hong), Beniamin Forti (Sancho), Ilia Korkashvili (Mönch), Zurab Rtveliasvili (Zurab), Bruno Derksen (Bruno), Anton Gonopolski (Anton) u. a.
Genre:
Komödie , Politischer Film , Drama
Land:
Deutschland , 2017

Julian aus Berlin fühlt sich als Filmemacher berufen, ist aber schon länger arbeitslos und lebt von der Sozialhilfe. Auf Veranlassung des Jobcenters wird er zum Ernteeinsatz auf eine Apfelplantage im Havelland geschickt, gerade als er sich frisch in die kanadische Kunststudentin Camille verliebt hat. Um ihre Gunst zu gewinnen, gibt er vor, auf der Plantage einen „kommunistischen“ Film drehen zu wollen, in dem sie die Hauptrolle spielt. Sein Plan scheint aufzugehen, zumal sich die harten Arbeitsbedingungen auf der Plantage schnell als kapitalistischer Musterbetrieb erweisen, in dem die Erntehelfer ohne Bezahlung nach Feierabend weiterarbeiten müssen, bis sie ihr hochgestecktes Tagessoll erreicht haben. Unter den Arbeitern befinden sich auch zwei entlassene vietnamesische beziehungsweise schweizerische Museumswärter, ein desillusionierter „Ossi“, eine anarchistische Erntehelferin aus Osteuropa, ein gewaltbereiter bolschewistischer Agitator und ein einfältiger stummer Mönch, der nach dem Vorbild des Heiligen Franz von Assisi der uneigennützigen Nächstenliebe verpflichtet ist. Nach einem missglückten Aufstand gegen die ungerechten Arbeitsbedingungen auf der Plantage machen sich alle auf den Weg nach Italien, denn dort soll es einen Kommunismus ohne Kommunisten geben, der nicht gleich am Egoismus und an den Schwächen der Menschen zum Scheitern verurteilt ist.

Julian, gespielt vom Regisseur Julian Radlmaier selbst, reflektiert seine Geschichte zugleich als angeblich selbstkritischer und zugleich überheblich wirkender Off-Erzähler. Dieser verwandelt sich am Ende in einen bürgerlichen Windhund, was als Ausdruck kritischer Distanzierung von den eigenen Idealen und Illusionen verstanden werden kann. Das Langfilmdebüt des Regisseurs ist sein Abschlussfilm an der Berliner Filmhochschule dffb, wobei die Reise nach Italien wohl der mit Abstand kostspieligste Posten in dieser in jeder Hinsicht minimalistisch gedrehten und inszenierten Parabel auf gesellschaftliche Utopien und menschliche Unzulänglichkeiten gewesen sein dürfte. Üppig fallen dagegen die unablässigen Anspielungen auf aktuelle und historische politische Ereignisse, auf Kunstwerke und Filme aus der gesamten Filmgeschichte aus, die ein gewisses Maß an Vorkenntnissen erfordern, um sie alle würdigen und zum Teil auch darüber lachen zu können. Manchmal mündet das gewollte Missverhältnis von inszenatorischem Minimalismus und ausführlichen Reflexionen über Kapitalismus und Kommunismus in befreiendes Lachen und überraschende Erkenntnisse beim Zuschauer. Aber ein Selbstläufer ist diese intellektuelle Komödie im „akademischen“ 4:3-Format mit ihren Zwischentiteln und ihrem gewöhnungsbedürftigen Humorverständnis nicht. Wer sich dennoch darauf einlassen kann, wird es gewiss nicht bereuen.

Holger Twele

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Sprachen: Deutsch

Untertitel: Englisch

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (6. Woche 2018).