Searching Eva

Länge:
88 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Kinostart:
14.11.2019
Regie:
Pia Hellenthal
Darsteller:
/
Genre:
Dokumentation
Land:
Deutschland, 2019

Filme, die einen dazu ermutigen, die eigene Identität neu zu denken, sind Mangelware. „Searching Eva“ von Pia Hellenthal könnte man deshalb ein seltenes Exemplar nennen: Über mehrere Jahre hinweg begleitete sie die nicht festlegbare, genderfluide Eva (die sich heute übrigens Adam nennt und zuletzt die Hauptrolle im lesbischen Liebesdrama „Glück“ spielte) bei ihren seltsamen Odysseen. Sie zeichnet das unverbindliche Porträt einer jungen Person, die das Rollenspiel bravourös beherrscht, sich ständig neu erfindet und die Zuschauer*innen mit latenter Lebensklugheit verblüfft. Definitionen und Kategorien? Ade!


Was dich in „Searching Eva“ erwartet:


Lange schmale Beinen, eine zierliche Figur und von Szene zu Szene wechselnde Frisuren (rotes Kurzhaar, zerfranster Bubenschnitt oder langhaarige Perücke) – das ist Eva. Für drei Wochen modeln verdient sie ungefähr so viel Geld, wie für einen Blowjob, heißt es anfangs. Eva ist Internet-Star, Vagabundin, Sexarbeiterin, Dichterin und Feministin. Ursprünglich kommt sie aus Italien, wohin sie auch immer wieder für familiäre Zusammenkünfte zurückkehrt. Doch lange hält es sie in ihrem Heimatdorf nicht. Dort könne man nur koksen, um sich die Zeit zu vertreiben. Und um 2 Uhr nachts Gras rauchen, um runterzukommen und schlafen zu können. Mehr sei da nicht los.

Vor allem das allgemeine Frauenbild in Italien, das vielerorts noch sehr konservativ ausgebildet sei, hat Eva nach Berlin gelockt. Und auch dort wird sie nicht sesshaft werden. Mit nur wenig Bagage tingelt sie durchs Leben, von Wohnung zu Wohnung, von Land zu Land und Strand zu Strand. Währenddessen teilt sie ihr Leben auf Instagram, wo die Reaktionen zu ihrer kontroversen Freizügigkeit unterschiedlich ausfallen. Sie lebt ihr Leben, wie es ihr gefällt: im Rausch, leicht bekleidet, in mutig-verwirrenden Outfits. Oft ist man befremdet von der Selbstverständlichkeit, mit der sie sich pausenlos inszeniert, ablichtet und ablichten lässt: Befremdet, aber auch absolut fasziniert.


Warum „Searching Eva“ so besonders ist:


Beim Schauen von „Searching Eva“ nehmen wir an einer einzigartigen Performance teil. Und durch ihre kluge Bildgestaltung sorgt Pia Hellenthal auch noch dafür, dass wir ganz viele unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten angeboten bekommen. Das heißt, Gedanken schießen wie verrückt durch den Kopf: Ist das vielleicht Narzissmus, den Hellenthal da abfilmt? Oder ist es irgendwie die Verabschiedung einer veraltenden Auffassung von Privatheit und Intimität? Etwa dann, wenn Eva – nackt vorm Spiegel – unverhohlen zur Schaulust auffordert. Eva selbst scheint die eigene Unverblümtheit sehr zu genießen, spielt mit der Schamlosigkeit, die andere perplex macht und übertritt kontinuierlich und bewusst Grenzen. Der Film lässt sich auf dieses einzigartige Rollenspiel ein, beobachtet zurückgenommen und wertungsfrei. Sein Titel ist Programm: Trotz oder gerade wegen ihrer Durchsichtigkeit und Offenheit, bleibt die rastlose Eva ungreifbar. „Searching Eva“ stellt viele Fragen, gibt aber keine einzige Antwort und verlässt bewusst die Route der Eindeutigkeit. Ein dokumentarisches Verwirrspiel erster Klasse, das uns als Personen noch lange über die eigene Identität nachgrübeln lässt.

Nathanael Brohammer

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (46. Woche 2019).