Paradies

Länge:
126 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 12 Jahren
Regie:
Andrej Konchalowski
Darsteller:
Julia Vysotskaya (Olga), Christian Clauß (Helmut), Philippe Duquesne (Jules), Peter Kurth (Krause), Jakob Diehl (Dietrich Vogel) u. a.
Genre:
Drama , (Anti-)Kriegsfilm
Land:
Russland, Deutschland, 2016

Es ist immer wieder erstaunlich, dass heutige Filmemacher neue Wege und Formen finden, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, ohne filmisch längst ausgetretene Pfade zu reproduzieren. Der Russe Andrey Konchalovsky (Jg. 1937) gehört auf jeden Fall zu denen, die diesem schwierigen Thema neue Perspektiven hinzufügen können. Der Titel seines 2017 sogar für den „Auslands-Oscar“ nominierten Films bezieht sich auf die Ideologie der NSDAP, die eine vollkommen neue Welt aufbauen und das Paradies auf Erden schaffen wollte – und die Hölle Wirklichkeit werden ließ. Im Mittelpunkt des Films stehen drei Figuren, deren Wege sich im „Dritten Reich“ auf tragische Weise kreuzen. Die russische Aristokratin Olga hatte sich in Frankreich der Résistance angeschlossen und nebenbei zwei jüdische Kinder versteckt. Als das Versteck bei einer Razzia der deutschen Besatzungsmacht auffliegt, wird sie von dem französischen Polizisten und Kollaborateur Jules verhört, der ihr als Gegenleistung für sexuelle Dienste ein milderes Strafmaß in Aussicht stellt. Bevor es dazu kommt, wird er von Mitgliedern der französischen Résistance erschossen, wobei sein Sohn Augenzeuge der Hinrichtung ist. Der adelige deutsche SS-Offizier Helmut wiederum, der sich lange vor dem Krieg in der Toskana in Olga verliebt hatte, soll auf Befehl von Heinrich Himmler in einem Konzentrationslager dafür sorgen, dass die Vernichtung der Juden „ordnungsgemäß“ vonstattengeht. Dort begegnet er Olga erneut, die wie die seinerzeit von ihr versteckten jüdischen Kinder ins KZ deportiert wurde. Helmut, unbeirrbar davon überzeugt, dass er das Richtige tut und zur „Herrenrasse“ gehört, möchte Olga retten, just in dem Moment, als die Order kommt, vor dem heranrückenden Feind alle Beweise der NS-Verbrechen zu vernichten.

Konchalovsky hat seine drei Geschichten bewusst nicht chronologisch und parallel erzählt und lässt die Personen auch in ihrer Muttersprache Deutsch, Französisch, Russisch und Jiddisch sprechen. Gedreht im Format 4:3 und in Schwarz-Weiß mit teils fünf Kameras gleichzeitig, wirkt der Film mitunter tatsächlich so, als wäre er bereits vor vielen Jahrzehnten entstanden. Für den quasi dokumentarischen Anspruch sorgen vor allem die zahlreichen Rückblenden, in denen die drei Hauptfiguren in einheitlicher Sträflingskleidung gegenüber einem imaginären höheren Gericht Rede und Antwort stehen und Auskunft über ihre Gefühle und Motivationen geben. Es bleibt lange dem Zuschauer überlassen, diese Verhöre weltlicher oder doch eher religiöser Natur zuzuordnen. Durch diese Verhöre, die sich deutlich von den Methoden der Nazis abheben, gelingt es dem Film, über die Einzelschicksale hinaus exemplarisch die Frage nach Schuld und Verantwortung zu stellen und anzudeuten, dass man sich selbst in Extremsituationen immer auch für das Gute entscheiden kann. Darstellerisch überragend, darunter die Ehefrau des Regisseurs in der Rolle von Olga, besticht der Film ebenfalls durch seine Kamera- und Lichtführung zwischen hartem Realismus und fast irreal wirkenden Szenen. Ein außergewöhnlicher Film, der mit wohldosierten Schockmomenten sein Publikum zwar nicht überfordern und abschrecken möchte, aber in seiner künstlerischen Stringenz sicher kein Publikumsrenner ist.

Holger Twele

Weitere Angaben

Filmtyp: S/W

Sprachen: Deutsch, Französisch, Russisch, Jiddisch

Untertitel: Deutsch

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Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (17. Woche 2018).