Nymphomaniac - Vergiss die Liebe Vol. I

An einem kalten Wintertag findet der alte Junggeselle Seligman in einer dunklen Seitenstraße eine übel zusammengeschlagene Frau, Joe. Diese möchte auf keinen Fall ins Krankenhaus und so nimmt Seligman sie zu sich nach Hause, versorgt dort ihre Wunden und wartet darauf, dass sie wieder zu Kräften kommt. In dieser Zeit erzählt Joe ihm bemerkenswert offen ihre Lebens- und Leidensgeschichte. Ihr Leben ist bestimmt von einem unersättlichen Bedürfnis nach sexueller Befriedigung, die sie bereits als Kind spürte. Das Verlieren ihrer Unschuld als Jugendliche geht sie zielstrebig mit dem Mechaniker Jerome an. Beim gemeinsamen Zugfahren mit einer Freundin liefern sich die Mädchen den Wettstreit, wer unterwegs mit mehr Reisenden schläft. Liebe interessiert Joe nicht, sie ist für sie nur "Lust plus Eifersucht". Bei ihrem ersten Job nach der Uni, einer Stelle als Sekretärin, trifft sie Jerome wieder, der dort ihr neuer Vorgesetzer ist. Joe spielt mit ihm, schläft mit anderen, aber nicht mit ihm. Und muss erst, als er mit einer anderen Frau davon zieht, merken, dass sie doch Gefühle für ihn entwickelt hat. So geht ihre Reise weiter.

Mit „Nymphomaniac" schließt der für seine provozierenden Werke wie Äußerungen bekannte dänische Filmregisseur Lars von Trier nach „Antichrist" und Melancholia seine sogenannte Depressionstrilogie ab. Der in zwei Teilen à jeweils über zwei Stunden angelegte Film, dessen erster Teil nun zunächst auf DVD erscheint, überrascht damit, dass er weder so düster noch so pornographisch ist, wie man es angesichts des Machers und der Verpackung vermuten mag. Die sexuelle Lust der Protagonistin Joe ist zwar der Dreh- und Angelpunkt des Films, der mit viel nackter Haut und Sexszenen inszeniert wird. Doch sind diese Situationen im ersten Teil von „Nymphomaniac" nicht von verstörender Art und der grundsätzliche Blick auf die Sexualität eher sachlich und erörternd, oft sogar mit Sinn für absurden Humor gewürzt. Die einzelnen Kapitel ihres Lebens diskutieren Joe und Seligman in der immer wieder zwischenspielenden Rahmenhandlung. Diese meisterhaft gespielten Dialogszenen leben vom klugen Nachdenken über Lust, Liebe und Schuld und bekommen durch spielerische geistesgeschichtliche Bezüge in die Welt der Musik, Literatur oder Philosophie gleichzeitig Tiefe wie spannenden Unterhaltungswert. Lars von Trier macht es sich zudem nicht leicht, Männern und Frauen klare Rollen zuzuweisen. Ist Joe ein Opfer ihres Triebs oder eine kluge Täterin? Ist sie stark oder schwach? Auf die ausführliche, Haken schlagende Erzählweise des Films, sowie seinen eigenwilligen Humor muss man sich einlassen wollen, dann hat man interessante und durchaus auch vergnügliche zwei Stunden, die zum Nachdenken über Sexualität anregen. Das starke Ensemble rund um Charlotte Gainsbourg und Stellan Skarsgard macht „Nymphomaniac - Vol. 1" zusätzlich sehenswert.

Kirsten Loose