Nichts – Was im Leben wichtig ist

Länge:
87 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 16 Jahren
Regie:
Trine Piil Christensen, Seamus McNally
Darsteller:
Vivelill Søgaard Holm (Agnes), Maya Louise Skipper Gonzales (Sofie), Harald Kaiser Hermann (Pierre Anthon), Sigurd Philip Dalgas (Otto), Ellen Fensbo (Elise) u. a.
Genre:
Drama , Jugend , Literaturverfilmung
Land:
Dänemark, Deutschland, 2022

Zuspruch und Ablehnung liegen manchmal eng beieinander. So auch im Fall des dänischen Jugendromans „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ aus dem Jahr 2000, der eine drastische Sinnsuche junger Menschen beschreibt. Für ihr Werk wurde Schriftstellerin Janne Teller mit Preisen geehrt, gleichzeitig aber auch massiv kritisiert. Zu düster, zu gefährlich sei der Inhalt ihres Buches, das in Dänemark zeitweise sogar aus den Schulen verbannt wurde. Trine Piil Christensen und Seamus McNally haben sich dennoch an den kontroversen Stoff gewagt und legen eine in die Gegenwart transportierte Adaption vor.


Was dich in der Romanverfilmung erwartet:


Agnes und ihre Mitschüler*innen staunen nicht schlecht, als sich Klassenkamerad Pierre Anthon weigert, im Unterricht den Fragebogen zur Berufswahl auszufüllen. Nichts im Leben habe Bedeutung, und er wolle kein Teil eines nutzlosen Systems sein, wirft er dem Lehrer an den Kopf – und zieht sich aus Protest auf einen Baum zurück. Nachdem sich die erste Verwunderung gelegt hat, fühlen sich seine Altersgenoss*innen von seinem Verhalten provoziert und versuchen, ihn mit Steinwürfen wieder auf den Boden zurückzuholen. Pierre Anthon verharrt jedoch in seiner Position, weshalb die anderen ihn schließlich mit Argumenten entkräften wollen. Dazu beginnen die Jugendlichen, sich von Gegenständen zu trennen, die ihnen wichtig sind, und diese in Form eines Altars zusammenzutragen. Was mit materiellen Dingen recht harmlos anfängt, nimmt schnell ungeheuerliche Ausmaße an. Denn plötzlich werden „Opfer“ gefordert, die handfeste seelische und körperliche Schmerzen verursachen.


Was diesen Film so ungemütlich macht:


„Nichts – Was im Leben wichtig ist“ dreht sich um die ganz großen Fragen unserer Existenz, mit denen wir in der Phase des Erwachsenwerdens erstmals konfrontiert werden: Wohin wollen wir gehen? Wer genau sind wird? Was treibt uns an? Und bringen uns all die Antworten am Ende Zufriedenheit? Mit seiner krassen Verweigerungshaltung, seinem Nihilismus erschüttert Pierre Anthon Gewissheiten, stellt fundamentale Ideen über das Menschsein, unsere Gesellschaft in Frage. Wenn wirklich alles sinnlos ist, weshalb sollten wir dann überhaupt Entscheidungen treffen, bestimmte Wege einschlagen? Wofür würde es sich überhaupt zu leben lohnen? Dass diese Sicht bei seinen Klassenkamerad*innen Unbehagen und Unverständnis produziert, ist verständlich. Wie schnell sich im Film Hass und Wut Bahn brechen, erscheint jedoch nicht ganz glaubwürdig. Mit einem eher groben Pinsel zeichnen die Macher*innen auch das Bild der Eltern, die entweder komplett abwesend sind, Desinteresse zeigen oder nur um sich selbst kreisen. Gegengewichte gibt es nicht.

Roman und Verfilmung stehen in der Tradition von Erzählungen wie „Herr der Fliegen“ oder „Die Welle“, die das Phänomen des Gruppendrucks und die niederen Instinkte des Menschen genauer unter die Lupe nehmen. So gut wir uns über die Jahrhunderte in zivilisierten Umgangsformen eingeübt haben, so dünn ist in bestimmten Situationen die Schutzschicht zu alten, brutalen Verhaltensmustern. Zunächst testen die Teenager*innen in „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ eher spielerisch aus, welche Gegenstände sie entbehren können. Doch rasch setzt eine Grenzüberschreitungsdynamik ein, der sich auf einmal niemand mehr entziehen kann. Bezeichnend dabei: Ausgerechnet Agnes, die als nachdenklich eingeführt wird und das Geschehen als Erzählerin kommentiert, entwickelt sich zu einer treibenden Kraft. Der Vorwurf, das stetig eskalierende Drama konzentriere sich sehr stark auf seine Schockwirkung, ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Andererseits fängt die über Handkamerabilder authentische Ausdruckskraft erzeugende Adaption aber auch schmerzhaft klarsichtig die Ängste der Jugendlichen und eine tiefgreifende Orientierungslosigkeit ein. Wie schon die Buchvorlage ist Christensens und McNallys Bearbeitung ein herausforderndes Werk, das zum Diskutieren einlädt. Den Film als billigen Gewaltporno abzutun – das würde ihm nicht gerecht.

Christopher Diekhaus

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (20. Woche 2023).