Nanouk

Länge:
93 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 12 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 6 Jahren
Kinostart:
18.10.2018
Regie:
Milko Lazarov
Darsteller:
Aprosimov (Nanouk), Feodosia Ivanova (Sedna), Galina Tikhonova (Ága), Sergey Egorov (Chena), Afanasiy Kylaev (LKW-Fahrer) u. a.
Genre:
Drama
Land:
Bulgarien, Deutschland, Frankreich, 2018

Die eisige Stille im arktischen Norden ist sprichwörtlich atem(be)raubend, selbst die Gefühle scheinen in der Kälte schockgefrostet. Der erste Satz des alles andere als dialoglastigen Films fällt erst nach über acht Minuten und wenn der alte Rentierjäger Nanouk mit seinem nur von einem einzigen Husky gezogenen Schlitten über die endlose Eiswüste gleitet, zeigt die Totale ihn vorzugsweise als verlorenen kleinen schwarzen Fleck in der unendlichen Weite. Man fühlt sich in längst vergangene Zeiten versetzt, würden die Kondensstreifen der Düsenflugzeuge am Himmel nicht vom Gegenteil zeugen. Rentiere werden vereinzelt nur noch aus der Ferne gesichtet, die Nahrungsvorräte werden knapp und auch die Jagd nach Fischen aus einem kleinen Eisloch wird immer mühsamer. Das Verschwinden der für die Jäger überlebensnotwendigen Tiere und das immer dünner werdende Eis verweisen indirekt und zugleich unübersehbar auf den Klimawandel. Spartanisch eingerichtet lässt die einfache Jurte, in der Nanouk mit seiner schwerkranken Frau Sedna wohnt, jedes Anzeichen von moderner Zivilisationstechnik vermissen. Selbst das batteriebetriebene Miniradio, das ein Verwandter auf einem Motorschlitten mitgebracht hat, versagt nach einiger Zeit seine Dienste. In der Wildnis nur auf sich selbst angewiesen, gibt es jedoch keine Klagen unter den beiden Alten; man erinnert sich an frühere Zeiten und erzählt sich rätselhafte Träume. Die beiden wissen, dass ihre Zeit auf Erden bald abgelaufen ist, aber stolz und stur beharren sie auf ihren tradierten Lebensgewohnheiten. Ganz langsam, nur in wenigen Andeutungen und anhand eines alten Fotos lässt der Film ahnen, was wirklich in den beiden vor sich geht. Ihre längst erwachsene Tochter Ága – so der Originaltitel des im Wettbewerb der Berlinale 2018 gelaufenen Films – hat ihren Eltern vor langer Zeit den Rücken gekehrt, um Arbeit in einer weit entfernten Diamantmine zu finden. Verzeihen konnten die Eltern ihr diesen Entschluss bisher nicht. Doch die Zeit heilt Wunden und nun ist die Zeit längst überfällig, einander zu vergeben.

In seinem zweiten Spielfilm hat der bulgarische Regisseur Milko Lazarov sich an ein klassisches Kammerspiel unter extremen Umweltbedingungen gewagt, das in formaler Umsetzung und insbesondere im stringenten Bildaufbau bestechend ist. Dem alten Ehepaar rennt die (Lebens-)Zeit davon und doch setzt der Film als Kontrapunkt bewusst Zeichen der Entschleunigung und des Innehaltens, lässt dem Publikum Zeit für eigene Reflexionen und Gedanken. Das betrifft nicht allein die Beziehungen unter den Menschen, sondern genauso die zur Natur und den Tieren, indirekt auch zur Industrialisierung und die Umwälzungen durch die Globalisierung. Ausgesprochenen Actionfans, die wohltemperierte Spannung in schnellen Schnitten erwarten, wird dieses filmische Kleinod kaum zusagen. Aber allen anderen und insbesondere denen, die von arktischen Regionen fasziniert sind und der Geschwätzigkeit und Oberflächlichkeit so mancher Filme überdrüssig sind, kann dieser Film nur wärmstens empfohlen werden. Er entfaltet dann eine ähnliche Wirkung wie der kleine Bollerofen in der Jurte der beiden Alten.

Holger Twele

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Sprachen: Inuktitut

Untertitel: Deutsch

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Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (15. Woche 2019).