Missverstanden (OmU)

Die achtjährige Aria sitzt nicht nur seit der Trennung ihrer Eltern zwischen allen Stühlen, schon vorher war sie ein eher unbeachteter Gegenstand im Beziehungskrieg ihrer Eltern und ein beliebtes Objekt für Häme ihrer Halbschwestern und Mitschüler. Wenn sie nicht gerade beschimpft und herumgeschubst wird, ist sie mehr oder weniger unsichtbar für ihre Familie. Ihre Mutter, eine Konzertpianistin, ist mehr an ihren wechselnden Liebhabern interessiert und bevorzugt Donatina, ihre ältere Tochter aus einer früheren Beziehung. Und ihr hochgradig abergläubischer Vater, ein ehemals mit Preisen bedachter Schauspieler, kümmert sich mehr um Lucrezia, seine Tochter aus erster Ehe. Kein Wunder also, dass auch Aria gelegentlich über die Stränge schlägt, wenn sie die Freiräume nutzt, die sie zwangsweise hat. Doch auch der Halt, den ihr dabei ihre Freundin Anjelica gibt, scheint mehr und mehr zu bröckeln. Ihre Liebe schenkt Aria deshalb der schwarzen Katze, die wie sie nirgends hinzugehören scheint. An ihrem neunten Geburtstag beschließt sie, mit einer großen Party eine Wende herbeizuzwingen.

Asia Argento wuchs als Tochter berühmter Eltern in Rom auf und erzählt hier von einer Kindheit, die mehr Freiräume als Geborgenheit kennt. Die Handlung konzentriert sich ausschließlich auf Aria, die für den Zuschauer in jeder Szene präsent ist, während sie in ihrer Umgebung kaum beachtet wird. Argentos Blick auf die Erwachsenen ist dabei sezierend, die Sprunghaftigkeit der Eltern, ihre neurotischen Ängste und ihr zwanghaft egozentrisches Verhalten stehen dabei vor allem im Fokus. Aria findet eher Kontakt zu Punks und Gothics, denen sie sich auf den nächtlichen Straßen Roms anschließt, als zu den Menschen, die eigentlich ihr Halt sein sollten. Die Grausamkeit, die sie in der Außenwelt erlebt, überspielt Aria durch Einträge in ihr Tagebuch und träumerische Aufsätze über Freundschaft und Liebe. Denn auch Liebe kennt Aria aus sehr raren, kostbaren Momenten familiärer Anwandlungen von Zärtlichkeit und in der bedingungslosen Bindung an Anjelica, ihre beste Freundin. Argento lässt in ihrer unsentimentalen, distanzierten Beobachtung des Mädchens keinen Zweifel daran, dass Aria vollkommen überfordert ist, auch wenn sie ihrem Schicksal aktiv und intelligent entgegentritt. Die Kamera bleibt dicht bei den Personen, die sehr abwechslungsreiche Musik korrespondiert stets mit ihren Gefühlen. Giulia Salerno, die herausragende Darstellerin der Aria, steht den gestandenen (und ebenfalls hervorragend spielenden) Schauspielern Charlotte Gainsbourg und Gabriel Garko in den Rollen der Eltern in nichts nach. Ihre großen, erstaunt und gleichzeitig wissend blickenden Augen wird man so schnell nicht wieder los.

DVD Extras: Wendecover, Booklet, Trailer

Rotraut Greune