Kindeswohl

Prädikat besonders wertvoll
Länge:
106 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 12 Jahren
Kinostart:
30.08.2018
Regie:
Richard Eyre
Darsteller:
Emma Thompson (Richterin Fiona Maye), Fionn Whitehead (Adam), Stanley Tucci (Jack), Rupert Vansittart (Sherwood Runcie), Ben Chaplin (Kevin Henry), Jason Watkins (Nigel Pauling) u. a.
Genre:
Drama , Literaturverfilmung
Land:
Großbritannien, 2017

Die britische Familienrichterin Fiona Maye – unvergleichlich facettenreich und zugleich zurückhaltend von Emma Thompson gespielt (Saving Mr. Banks, Liebe auf den zweiten Blick) – hat täglich schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Gerade erst musste sie ein Urteil über siamesische Zwillinge treffen, das eines der Kinder durch die Operation zum Tode verurteilte, damit das andere Kind eine reale Überlebenschance hat. Die permanente Anspannung, ihr Pflichtgefühl gegenüber dem britischen Gesetz „The Children Act“, das dem Kindeswohl unbedingten Vorrang einräumt, und ihr unbändiger Arbeitseifer haben ihre Spuren hinterlassen. So bemerkt sie erst, wie weit sie sich von ihrem Ehemann bereits entfernt hat, als dieser ihr seinen Entschluss mitteilt, eine Affäre beginnen zu wollen. Innerlich tief verletzt fordert ein neuer Fall zugleich ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie muss ein Urteil darüber fällen, ob der an Leukämie erkrankte minderjährige Adam gegen seinen Willen und den seiner Eltern eine lebensrettende Bluttransfusion erhalten soll. Die Familie gehört den Zeugen Jehovas an, deren Glauben eine solche Bluttransfusion verbietet. Entgegen der üblichen Vorgehensweise entscheidet sie sich, den schwerkranken Jungen erst einmal persönlich kennenzulernen. Damit setzt sie eine Kettenreaktion in Gang, bei der sie zunehmend die Kontrolle verliert und die das Leben aller Beteiligten stark verändern wird.

Der britische Film- und Theaterregisseur Richard Eyre hat den gleichnamigen Bestseller seines Landsmanns Ian McEwan handwerklich perfekt verfilmt und die Vielschichtigkeit der Vorlage allein schon deshalb bewahrt, weil McEwan, der für seinen Roman einen authentischen Fall zur Grundlage nahm, zugleich für das Drehbuch verantwortlich zeichnete. Dank eines hervorragenden Darstellerensembles arbeitet das Ehe- und Justizdrama die Motivationen und Gewissenskonflikte der Figuren bis ins Detail heraus, ohne auch nur eine Spur aufdringlich zu werden oder gar pathetisch zu sein. Dem Publikum bleibt bei dieser dichten Inszenierung gar nichts anderes übrig, als die jeweiligen Entscheidungsprozesse unmittelbar zu reflektieren und das Für und Wider gegeneinander abzuwägen. Dabei geht es keineswegs nur um die moralische und juristische Frage, ob Adams Leben „mehr wert ist als seine Würde“, und ob er „vor seiner Religion und vor sich selbst geschützt werden“ muss. Mit der die private Ebene unmittelbar einbeziehenden Parallelhandlung wirft der Film auch allgemeingültige und keineswegs nur altersspezifische Fragen auf, etwa über die möglichen Grenzen der Verantwortung gegenüber anderen Menschen, oder über das Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz und das zwischen Privatleben und beruflichen Erfordernissen. Sehenswert!

Holger Twele

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