Jeannette - Die Kindheit der Jeanne d'Arc

Länge:
115 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
keine Angabe
Kinostart:
25.12.2019
Regie:
Bruno Dumont
Darsteller:
Lise Leplat Prudhomme (Jeannette), Jeanne Voisin (Jeanne), Lucile Gauthier (Hauviette mit 8 Jahren), Victoria Lefebvre (Hauviette mit 13 Jahren), Aline Charles (Madame Gervais), Elise Charles (Madame Gervais) u. a.
Genre:
Musikfilm , Drama , Historienfilm , Politischer Film
Land:
Frankreich, 2017

Vergesst einfach alles, was ihr bisher über die französische Nationalheldin gelesen oder gesehen habt, von Friedrich Schiller über Carl Theodor Dreyer bis hin zu Bertold Brecht. Mit Ausnahme vielleicht der historischen Eckdaten, dass Jeanne d'Arc 1412 in Domrémy-la-Pucelle an der Maas geboren und mit 19 Jahren im Mai 1431 in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Denn der Film von Bruno Dumont entzieht sich jeder Kategorisierung und gängiger Erwartungshaltung. Er endet, noch bevor Jeannette, wie sie als Kind genannt wurde, in den Krieg gegen die englische Besatzungsmacht zieht und zur „Jungfrau von Orléans“ wird. Er ist kein Drama, sondern ein Musical in einer Mischung aus Heavy Metal-Musik und kindlich-sakralem Gesang, unbeholfen und zugleich vollkommen authentisch wirkend, mit zahlreichen Tanzeinlagen, wiederholtem Headbangen und der Nonne Madame Gervaise in zweifacher Gestalt. Es gibt keine einzige Schlachtszene und schon gar keine Soldaten, selbst der Onkel ist noch ein Jugendlicher. Das Szenario besteht fast ausschließlich aus einer kargen Dünenlandschaft, durch die sich ein schmaler Flusslauf schlängelt. Singend und sinnierend watet die achtjährige Jeannette beim Schafe hüten durch das seichte Wasser, wobei ihr auch schon mal drei über dem Wasser schwebende Heilige erscheinen. Ihre Seele krankt daran, dass die Burgunder gemeinsame Sache mit den Engländern machen, brandschatzend durch Frankreich ziehen und der Dauphin als designierter König dies ohnmächtig geschehen lässt. Jeannette fühlt sich von Gott dazu berufen, Frankreich zu befreien, doch es vergehen fünf weitere Jahre, bis sie die innere Kraft und den Mut findet, ihre Angst zu überwinden und zu den Waffen zu greifen.

Mit minimalistischen Stilmitteln, brillant geschliffenen Texten des Theaterautors Charles Péguy, dem Soundtrack des französischen Metal-Musikers Igorrr und Choreographien von Philippe Decouflé, der bereits für Beyoncé und New Order arbeitete, gelingt es Bruno Dumont, den Mythos von Jeanne d'Arc vollkommen gegen den Strich zu bürsten und ihn im spirituellen Sinn zugleich für die Gegenwart nachvollziehbar und wahrhaftig erscheinen zu lassen. Ein Film der Extraklasse, sehr religiös, aber nicht im fanatischen Sinn, zugleich tragikomisch, überraschend und sogar hochpolitisch. Denn wer mag, kann die Geschichte auch als eigenwilligen Kommentar über heutige Jugendliche lesen, die von einer Vision geleitet sind und die ganze Welt retten möchten.

Holger Twele

Anbieter