Jeanne d'Arc

Länge:
138 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
keine Angabe
Kinostart:
02.01.2020
Regie:
Bruno Dumont
Darsteller:
Lise Leplat Prudhomme (Jeanne d‘Arc), Annick Lavieville (Madame Jacqueline), Justine Herbez (Marie), Benoît Robail (Monseigneur Regnauld de Chartres), Alain Desjacques (Messire Raoul de Gaucourt), Serge Holvoet (Monseigneur Patrice Bernard), Julien Man
Genre:
Drama , Historienfilm , Literaturverfilmung , Politischer Film
Land:
Frankreich, 2019

Niemand hat im Unterricht etwas verpasst und die Geschichte muss auch nicht komplett umgeschrieben werden, sie wiederholt sich allenfalls in Teilen und unter veränderten Vorzeichen: Wenn die junge Jeanne d'Arc im Jahr 1430 nach ersten militärischen Erfolgen gegen die Engländer nach der Niederlage in der Nähe von Paris in Ungnade fällt und später in einem zerstörten Betonbunker des von der deutschen Wehrmacht errichteten Atlantikwalls gefangengehalten wird, ist dies nur eines von vielen Irritationen im zweiten Film von Bruno Dumont über die französische Nationalheilige. Kamen die Engländer im 15. Jahrhundert als Eroberer nach Frankreich, hatten sie im Zweiten Weltkrieg an der Befreiung des Landes von der deutschen Besatzungsmacht einen wesentlichen Anteil. In puncto Hass, Intrigen und üblen Machtspielen scheint sich in fast 600 Jahren Geschichte aber nicht allzu viel geändert zu haben. An kindlicher Unschuld und unverdorbenem Idealismus zum Glück aber auch nicht. Dumont besetzte die Rolle der 19-jährigen Jeanne, die 1431 in Rouen als Ketzerin verurteilt und verbrannt wurde, daher mit der erst zehnjährigen Lise Leplat Prudhomme, die zwei Jahre zuvor in seinem Musical bereits die kleine Jeannette gespielt hatte. Ein genialer Kunstgriff, zumal die Darstellerin in ihrem ganzen Auftreten, in ihrer inneren Überzeugung und in ihren klugen Argumenten nicht deplatziert sondern vollkommen authentisch wirkt. Umso erschütternder wirkt der Schauprozess gegen Jeanne d'Arc, bei dem geifernde Kleriker und rachsüchtige Politiker ihr Exempel an einem Kind setzen wollen und ihren Willen und ihre Integrität mit aller Macht zu brechen suchen, trotz erwachsener Bedenkenträger und unter Druck gesetzter Mitläufer, die es auch damals gab. Und es ist sicher kein Zufall, dass Jeanne mitunter Assoziationen zu Greta Thunberg und ihrer engagieren Haltung weckt, die sich in der Gegenwart ebenfalls mit Hasstiraden vorwiegend älterer Männer konfrontiert sieht.

Dumont inszenierte seinen „psychologischen Actionfilm“, wie er ihn nennt, nach den bereits 1897(!) erschienenen Romanen „Les Batailles“ und „Rouen“ von Charles Péguy mit den Mitteln des epischen Theaters. Im ersten kürzeren Teil seines neuen Films tritt Jeanne in einer zeitlosen Dünenlandschaft den Würdenträgern und Machthabenden ihrer Zeit entgegen. Der zweite Teil spielt vorwiegend in der Kathedrale von Amiens (statt in Rouen) und lässt sich auch als klerikales Gerichtsdrama bezeichnen, wobei der Prozess hier aber gegen ein Kind geführt wird. Mit mehr als zwei Stunden Spielzeit und der französischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln verlangt der Film Jung und Alt gleichermaßen viel Aufmerksamkeit ab und ist auch nicht so originell und abgehoben wie das zwei Jahre zuvor entstandene Musical über Jeannette. Wer sich dennoch darauf einlassen kann, wird mit zahlreichen Gegenwartsbezügen und einer überragenden weiblichen Hauptfigur belohnt.

Holger Twele

Anbieter