Inventing Anna

Serienstart:
11.02.2022
Staffel:
1
Folgen:
9
Länge der Folgen:
52-83 Min.
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
keine Angabe
Regie:
David Frankel, Nzingha Stewart, Tom Verica u. a.
Darsteller:
Anna Chlumsky (Vivian), Julia Garner (Anna Sorokin alias Anna Delvey), Saamer Usmani (Chase Sikorski), James Cusati-Moyer (Val), Kate Burton (Nora Radford) u. a.
Genre:
Drama , Biopic
Land:
USA, 2022

Auch wenn ihre Betrugsmasche 2017 krachend aufflog, kann man nur staunen. Mit gerade einmal Mitte 20 gab sich Anna Sorokin unter dem Pseudonym Anna Delvey als Millionenerbin aus und erschlich sich so das Vertrauen von Banken, Hotelketten und Mitgliedern der High Society im Big Apple. Auf Kosten anderer führte sie ein Luxusleben und träumte davon, in der Ostküstenmetropole einen exklusiven Club für Künstler*innen zu gründen. Der perfekte Stoff für eine Miniserie über Sex, Crime und das Verlagen nach Geld und Ansehen. Das fand auch die einflussreiche Fernsehproduzentin Shonda Rhimes, die den unglaublichen wahren Fall in einer neunteiligen Netflix-Miniserie rekonstruiert. Fiktive Ausschmückungen gibt es dabei allerdings so einige, wie schon eine augenzwinkernde Texteinblendung gleich zu Anfang unterstreicht: „Diese Geschichte ist komplett wahr. Bis auf alle völlig erfundenen Teile.“


Worum es in „Inventing Anna“ geht:


Eigentlich soll die Journalistin Vivian einen Artikel über MeToo-Ereignisse an der Wall Street schreiben. Viel spannender findet sie jedoch die heiße Story, die sie hinter der Verhaftung der Hochstaplerin Anna Delvey alias Anna Sorokin im Jahr 2017 vermutet. Ein erstes inoffizielles Gespräch mit der jungen Frau macht der schwangeren Reporterin aber eines sofort klar: Einfach wird das Ganze nicht, da sich Anna als höchst eigenwillige Persönlichkeit entpuppt. Nichtsdestotrotz nervt Vivian ihren ablehnenden Vorgesetzten so lange, bis er ihr zwei Wochen Zeit gibt, um handfeste Ergebnisse zu liefern. Hartnäckig bleibt sie vor allem deshalb, weil sie nach einer missglückten früheren Recherche ihren ramponierten Ruf unbedingt vor der Geburt ihres Kindes aufpolieren will. Noch am Ende der ersten Folge gelingt es Vivian, Anna von einem ausführlichen Interview zu überzeugen. Und zudem entscheidet sich die Betrügerin gegen einen von der Staatsanwältin vorgeschlagenen Deal. Tatsächlich will sie es auf einen Prozess ankommen lassen, der ihr Schlagzeilen garantieren würde.


Was an „Inventing Anna“ reizvoll ist:


Bereits die ersten drei für diese Kritik gesichteten Episoden legen ein Tempo hin, das man von anderen Shonda-Rhimes-Projekten kennt. Wie „How to Get Away with Murder“ etwa springt „Inventing Anna“ ständig zwischen unterschiedlichen Zeitebenen hin und her. Schnelle Schnitte, lässige Musik und visuelle Spielereien – beispielsweise Instagram-Accounts, die mitten im Bild auftauchen – sorgen für Dynamik. Eine, die widerspiegeln soll, wie die Titelfigur ihr Leben als Fake-Erbin empfunden hat: Alles war ein einziger Rausch. Teure Klamotten, schicke Lokale, fürstliche Hotelzimmer und verschwenderische Reisen – auch die Miniserie taucht genüsslich in die Welt der Reichen und Schönen ein, wirkt stellenweise wie eine Hochglanz-Soap, geizt aber nicht mit sarkastischen Seitenhieben auf die Oberflächlichkeit und Verlogenheit der feinen New Yorker Gesellschaft.

Inszenierung und optische Gestaltung sind manchmal etwas krampfhaft um Coolness bemüht. Hier und da hätte Schöpferin Rhimes die Charaktere weniger überzeichnen können. Nach einem Drittel der Gesamtlaufzeit macht sich allerdings eine eigenartige Faszination breit. Wer ist dieser Mensch, der als Anna Delvey mit verblüffender Kaltschnäuzigkeit ein kriminelles Spiel trieb? Warum gelang es ihr, in höchste Kreise vorzustoßen und ihr Umfeld eine ganze Weile reinzulegen? Diesen Fragen nähert sich „Inventing Anna“ durch ein Mosaik an Unterhaltungen zwischen der fiktiven Journalistin und Personen aus Annas altem Leben. Spannend ist dabei, dass sich die Aussagen teilweise deutlich widersprechen und ein komplexes, schwer fassbares Bild ergeben. Kein Wunder, dass manche Dinge nicht zusammenpassen. Wollen Vivians Gesprächspartner*innen doch im bestmöglichen Licht erscheinen und ihre Naivität verschleiern. Alle Figuren erfinden sich, dem Titel folgend, so ihre eigene Anna.

Den Fehler, die angebliche Millionenerbin und ihre Taten zu verherrlichen, begeht die Miniserie bei aller Bewunderung für ihre Gerissenheit nicht. Besonders während der Gefängnisbesuche der Reporterin begegnet uns eine arrogante, uneinsichtige junge Frau (die echte Sorokin befindet sich aktuell – Stand Februar 2022 – übrigens in Abschiebehaft, da sie nach ihrer Freilassung gegen Visabestimmungen verstieß; in diesem veröffentlichten Text beschreibt sie ihre Lage und ihr Haltung zur Netflix-Produktion). Gleichzeitig nutzt Showrunnerin Shonda Rhimes Annas Geschichte aber auch, um davon zu erzählen, wie Frauen mit beruflichen Ambitionen kleingehalten werden. Vivian kämpft gegen ihren Vorgesetzten, will sich nicht nur auf ihre kommende Mutterrolle reduzieren lassen. Und die Betrügerin rennt mit ihren Plänen für eine Kunststiftung mehrfach gegen frauenfeindliche Strukturen an.


Unser Fazit zu „Inventing Anna“:


Die Miniserie ist sicherlich nicht immer rund und verfällt manchmal ins Reißerische. Dank vieler unterschiedlicher Perspektiven und einiger interessanter Widersprüche entwickelt „Inventing Anna“ jedoch einen Sog, der hoffentlich auch in den restlichen sechs Episoden erhalten bleibt.

Christopher Diekhaus

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (6. Woche 2022).