Glitzer & Staub

Länge:
96 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 12 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 6 Jahren
Kinostart:
29.10.2020
Regie:
Anna Koch, Julia Lemke
Darsteller:
Mitwirkende: Altraykia Begay, Tatyanna Shorty Begay, Ariyana Escobedo, Maysun King u. a.
Genre:
Dokumentation
Land:
Deutschland, 2020

Warum sollte es neben Cowboys nicht auch Cowgirls geben? Gilt dies aber auch für minderjährige Mädchen, die selbstbewusst in eine Männerdomäne eindringen und beim Rodeo schon mit neun Jahren ihr Leben riskieren, nur um für einige Sekunden auf dem Rücken eines gefährlichen Bullen zu reiten? Für die vier Protagonistinnen im Dokumentarfilm der beiden dffb-Absolventinnen Anna Koch und Julia Lemke stellt sich diese Frage nicht. Nur zum Teil vorgeprägt durch ihre Eltern, die das Rodeo selbst praktiziert hatten oder als Bullenhändler arbeiten, genießen die Vier den Nervenkitzel und beweisen sich und der Umwelt, dass sie als Mädchen dasselbe Recht haben, wahrgenommen und geachtet zu werden. Selbst oder gerade deswegen, weil es bisher immer noch keine Rodeoreiterin geschafft hat, in die Top-Liga zu gelangen. Die 10-jährige Maysun King aus Texas konnte schon mit 5 Jahren Ziegen mit dem Lasso fangen, wobei sie sich nur auf der Farm der Eltern richtig wohl fühlt. Die Schule mag sie nicht, weil sie dort immer geärgert wird, und ihr Vater hatte sich eigentlich einen kleinen Cowboy gewünscht. Die 9-jährige Ariyana Escobedo träumt davon, die erste professionelle Bullenreiterin der USA zu werden. Selbst ein gebrochener Fuß hindert sie nicht daran, einen Bullen zu reiten. Die 17-jährige Tatyana Begay vom Stamm der Navajos würde sich ohne das Bullenreiten wie ein „Niemand“ fühlen, wie sie behauptet. Von ihrer jüngeren Cousine Altraykia Begay wird sie deshalb für ihren Mut bewundert und zum Vorbild genommen, ebenfalls Bullen zu reiten.

Das Bild eines neunjährigen Mädchens im Internet, das mit dem Lasso eine Ziege fängt, auf dem Tier niederkniet und es verschnürt, war der Ausgangspunkt für die beiden Filmemacherinnen, sich in den USA aktiv auf die Suche nach jungen Rodeoreiterinnen zu machen. Ihre vorurteilslose Neugier und ihr fast schon bewundernder Respekt vor den Mitwirkenden halfen ihnen sehr, deren Vertrauen zu gewinnen. Nur an einigen Stellen hätte man sich gewünscht, mehr über die angedeuteten Konflikte in den Familien zu erfahren, etwa bei Maysun. Besonders beeindruckend ist die Kameraarbeit, die dicht an den Figuren bleibt und Bilder von großer Intensität schafft,. Sie bestätigen den Mythos des amerikanischen Traums und hinterfragen ihn zugleich kritisch. Auf diese Weise gelingt dem Film gleich dreierlei: Er liefert lebendige Porträts von Cowgirls, die mit viel Mut und Entschlossenheit eine gefährliche Sportart betreiben, von der hierzulande nicht sehr viel bekannt ist. Er zeigt, dass selbst in einem konservativen Umfeld Veränderungen möglich sind, gerade in Bezug auf die immer noch festgeschriebene Rolle der Frauen als Ehefrauen und Mütter. Und er zeigt ein differenziertes Amerikabild, das von starken Gegensätzen geprägt ist, liberal und reaktionär zugleich.

Holger Twele