El Clan

Es klingt nach einer abgedroschenen Phrase, doch die unglaublichsten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Die Ereignisse, die Pablo Trapero in seinem Thriller-Drama „El Clan“ skizziert, könnten aus einem schmissigen Kriminalroman stammen, haben sich leider aber in der Realität zugetragen: Anfang der 1980er Jahre führt die angesehene Familie Puccio ein scheinbar normales Leben in einem gepflegten Wohnviertel der argentinischen Metropole Buenos Aires. In ihrem Umfeld ahnt niemand, dass sich Oberhaupt Arquímedes, gestützt von den Beamten der Militärdiktatur, eine goldene Nase verdient, indem er wohlhabende Mitbürger entführt, die er nach erfolgter Lösegeldzahlung kaltblütig ermordet. Eingespannt in das lukrative „Geschäft“ – nichts anderes sind die Verbrechen für Arquímedes – ist auch der älteste Sohn Alejandro, der in der Rugby-Nationalmannschaft erste Erfolge feiert. Als das Unterdrückungssystem 1983 in sich zusammenbricht und eine demokratische Regierung die Macht übernimmt, scheint auch das Ende der Puccio-Machenschaften gekommen. Arquímedes lässt sich jedoch nicht beirren, sucht weiterhin akribisch nach neuen Opfern und fordert von Alejandro, der zunehmend ins Grübeln gerät, bedingungslose Unterstützung.

Der Fall der Puccios, der in Argentinien für großes Aufsehen sorgte, bietet reichlich Stoff für einen unreflektierten True-Crime-Reißer, avanciert in Traperos versierten Händen allerdings zu einer monströs-beklemmenden Familienchronik, deren Frauenfiguren leider etwas blass bleiben. Schillerndes und zugleich abstoßendes Zentrum des Films ist der unnachgiebige Patriarch, den Guillermo Francella als Biedermann mit stechend-kaltem Blick verkörpert. Sein grausiges Geschäft und der Alltag im Haus der Puccios gehen fließend ineinander über, wie besonders eine Szene demonstriert: Während Arquímedes seine Tochter Adriana zum Essen ruft, macht er sich mit einem Tablett auf den Weg zu einem ranzigen Badezimmer, in dem ein Mann gefangen gehalten wird. Immer wieder schockiert die direkte Verbindung von Normalität und kriminellem Treiben. Zeitgenössische Popsongs untermalen die Verschleppungen, die sich zum Teil auf offener Straße ereignen. Und an einer Stelle vermischen sich die Lustgeräusche beim Sex zwischen Alejandro und seiner Freundin mit den verzweifelten Schreien eines Entführungsopfers. Eine durchaus provokante Darstellungsweise, die das Geschehen jedoch nie ins Lächerliche kippen lässt. Verstörend ist auch das ambivalente Verhältnis zwischen Arquímedes und seinem ältesten Sohn, der zwar Gewissensbisse hat, sich aber lange Zeit nicht von seinem autoritär-charismatischen Vater freimachen kann.

Dass der in Venedig mit dem Regiepreis ausgezeichnete Film letztlich mehr ist als ein packend inszeniertes Thriller-Drama, liegt an der geschickten Verknüpfung von Familienalltag und gesellschaftlichem Hintergrund. So erhält der Zuschauer über die skrupellosen Aktivitäten der Puccios auch Einblick in das Funktionieren des Diktaturapparats, in dem es vollkommen normal war, dass Menschen plötzlich spurlos verschwanden. Interessant ist außerdem, dass Arquímedes selbst nach dem Übergang zur Demokratie stur an seinem früheren Vorgehen festhält, während andere Repräsentanten der Militärjunta ihr vorheriges Wirken gezielt verschleiern. „El Clan“ zeigt damit ganz nebenbei, wie sich in Argentinien alte Kräfte in das neue Regierungssystem hinüberretten konnten.

Blu-ray-Bildformat:1:2,40/1080p
Ton:dts HD 5.1 MA
Sprachen: Deutsch dts HD 5.1 MA/Spanisch dts HD 5.1 MA
Untertitel: Deutsch/Spanisch

DVD Extras: Making of, Trailer

Blu-ray Extras: Making of, Trailer

Christopher Diekhaus