Das letzte Mahl

Länge:
83 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 6 Jahren
Kinostart:
30.01.2019
Regie:
Florian Frerichs
Darsteller:
Bruno Eyron (Aaron Glickstein), Sharon Brauner (seine Frau Rebekka), Michael Degen (Opa Jakob), Adrian Topol (Daniel), Mira Elisa Goeres (Leah), Patrick Mölleken (Michael) u.a.
Genre:
Drama
Land:
Deutschland, 2017

Berlin, am 30. Januar 1933. Es ist der Tag, an dem Adolf Hitler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt und damit das schwärzeste Kapitel in der Geschichte Deutschlands eingeleitet wurde. An diesem schicksalsträchtigen Tag lässt Autodidakt Florian Frerichs in seinem ersten Langspielfilm drei Generationen einer wohlhabenden, jüdischen Familie zu einem gemeinsamen Abendessen zusammenkommen. In der Wohnung von Aaron Glickstein und seiner Frau Rebekka treffen sich – neben Rabbi Aschkenasi – Aarons Eltern, seine Geschwister Sarah und Daniel sowie dessen Frau Monika und Aarons Kinder, die 19-jährige Leah und der etwas jüngere Michael. Gegliedert ist der Film, der wie ein Kammerspiel hauptsächlich in der Wohnung der Familie Glickstein in der Wilhelmstraße spielt, in: Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch. Bereits bei der klaren Hühnerbrühe mit Wurzelgemüse geht es hoch her am Tisch. Denn als Aaron sich weigert, über seine geschäftlichen Probleme zu sprechen, kommt die Rede sofort auf die Politik. Auf die Nazis, die hauptsächlich „Schläger und Mörder“ sind, auf Deutschland, das nicht mehr das Land ist, für das Großvater Glickstein im Ersten Weltkrieg gekämpft hat. Als Leah verkündet, dass sie nach Palästina auswandern will, verlässt Aaron entsetzt den Tisch. Der Rinderschmorbraten mit Wacholderbeersauße wird in gedämpfter Stimmung verspeist. Die können auch die „koscheren“ Witze vom Rabbi nicht aufhellen. Diesmal outen sich Aarons Schwester Sarah als Kommunistin bzw. Sozialistin, während Sohn Michael verkündet, er wird später zum Großen Fackelzug der Nazis gehen. Seiner Meinung nach wird Hitler die Gesellschaft und die Wirtschaft von Grund auf erneuern und er, der sich mehr als Deutscher denn als Jude fühlt, will dabei sein. Der Hauptgang endet mit einem Streitgespräch zwischen Vater und Sohn in dessen Arbeitszimmer. Aaron, der sich als ein deutscher Patriot versteht, wirft Michael aus der Wohnung. Während Rote Grütze mit Vanillesauße aufgetragen wird, zieht sich Aaron mit dem Rabbi auf dem Balkon zurück. Sie sprechen über Hitlers „Mein Kampf“. „Wenn die Nazis das alles machen, was da drin steht, dann Gnade uns Gott!“, äußert Rabbi Aschkenasi besorgt. Aaron Glickstein dagegen baut auf die Vernunft, die ja schließlich aus Deutschland kommt. Im Hintergrund sind grölende Massen zu hören, auf der Straße laufen betrunkene Männer in SA-Uniform, das Schaufenster eines Geschäfts ist mit „Judensau“ beschmiert.

Florian Frerichs produzierte diesen spannenden Geschichtsfilm, in dem weniger private Geschichten eine Rolle spielen, denn politische Auseinandersetzungen, ohne jegliche staatliche Förderung und ohne Beteiligung der Fernsehsender. So arbeiteten die Schauspielerinnen und Schauspieler ohne Gage und wahrscheinlich auch die gesamte Crew. Vielleicht ist diesem Mangel an Finanzen auch geschuldet, dass der Film so minimalistisch und mehr oder weniger an einem Ort gedreht wurde. Das hat positiv zur Folge, dass sich die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Gespräche, die unterschiedlichen politischen Ansichten und Haltungen richtet. Und dabei ist alles vertreten – Empörung („Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen könnte.), Ablehnung, Zukunftsangst, Glaube an die Vernunft, aber auch Ambivalenz, Desinteresse und sogar Begeisterung. Dieses politische Stimmungsbild von damals lässt noch einmal erahnen, warum die Nationalsozialisten so erstarken konnten. Schmerzhaft ist, dass wir – im Gegensatz zu der Familie Glickstein – wissen, wie die Geschichte nach dem 30. Januar weiterging. Dass genau das mit aller Gewalt durchgesetzt wurde, was in „Mein Kampf“ bereits 1933 zu lesen war. Dass vielleicht alle Familienmitglieder der Glicksteins, die Deutschland nicht verlassen haben, ermordet wurden. Und dass Deutschland einen Krieg von unglaublichem Ausmaß begonnen hat, in dem 80 Millionen Menschen ums Leben kamen.

Barbara Felsmann

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