Berlin Falling

Endlich darf Frank nach der Scheidung seine kleine Tochter wiedersehen. Der ehemalige Elitesoldat kommt nach einem Afghanistan-Einsatz mit dem Leben nicht mehr klar. Er lebt allein in Brandenburg und hat ein massives Alkoholproblem. Immer wieder hat er die Menschen versetzt und enttäuscht, die er liebt. Umso wichtiger ist es ihm, diese Chance nicht wieder zu verpatzen. Vorher deckt er sich aber noch an der Tankstelle mit Hochprozentigem ein, als ihn ein freundlicher Anhalter anspricht, ob er ihn nach Berlin mitnehmen könne. Der Typ wirkt sympathisch, Frank lässt sich also breitschlagen – ein fataler Fehler mit Folgen. Andreas heißt der Anhalter, und zunächst hält er sich auch an Franks Regeln: Keine Gequatsche, dafür laute Musik. Aber bald schon offenbart er sein wahres, finsteres Gesicht. Denn Andreas hat eine Bombe im Rucksack und plant einen terroristischen Anschlag auf dem Berliner Hauptbahnhof. Er hat Frank nicht zufällig auserwählt, vielmehr sitzen Kumpanen von ihm in dem Zug, mit dem Franks Ex-Frau Claudia und seinen kleine Tochter Lily gerade nach Berlin fahren. Spielt er nicht mit, werden die beiden via Handy-Live-Video vor Franks Augen erschossen. So hat Andreas ein enormes Druckmittel gegen ihn in der Hand, das er auch schamlos ausnutzt, als eine Streife die beiden anhält. Die Entführung nimmt in Berlin immer extremere Züge an. So lässt Andreas ein Propaganda-Video mit Frank machen, und plötzlich ist gar nicht mehr sicher, ob er überhaupt islamistische Ziele verfolgt oder im wahren Kern ein Rechtsradikaler ist. Frank muss schwerwiegende Entscheidungen über Leben und Tod treffen.

Der düstere Thriller über einen Anschlag mit terroristischen Hintergrund wirkt über einen langen Zeitraum wie ein Kammerspiel im Auto, ein Duell zwischen zwei Männern, von denen jeder auf eine andere Art auf die dunkle Seite gewechselt ist. Trotz des amibitionierten Themas eines islamistischen Anschlags ist der politische Hintergrund eher zweitrangig. Im Vordergrund des Actionthrillers steht die genretypische Spannungsdramaturgie, die durch immer verheerendere Entscheidungen in einer Spirale abwärts driftet. Die politische Überzeugung des Attentäters wirkt fadenscheinig, gar austauschbar, ein gewiss beabsichtigter Effekt. Gleichzeitig wirkt die Geschichte dadurch aber auch realitätsfern und überhöht, da die Motive des Attentäters kaum fassbar werden. Insofern öffnet der Film keine neuen Perspektiven auf das Thema, nutzt die Abgründigkeit der Figur des Attentäters vielmehr für das Genrestück. Der Schauspieler Ken Duken legt hier sein Regiedebüt vor und spielt gleichzeitig die Hauptrolle. An seiner Seite gibt Tom Wlaschiha – der deutsche Schauspieler ist bekannt vor allem aus der Serie „Game of Thrones – seiner Figur des Terroristen eine joviale Kaltblütigkeit.

Auf dem Höhepunkt des Duells der beiden Männer gibt es eine lange Sequenz, während der sie durch die Weihnachtslichter auf dem Ku’Damm in der Nähe des Breitscheidplatzes fahren. Fatalerweise wurde kurz nach der Fertigstellung des Films genau an dieser Stelle der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 verübt.

Christiane Radeke