Alle Farben des Lebens

Seit sie vier Jahre alt ist weiß Ramona, dass sie ein Junge sein möchte. Mittlerweile ist sie ein Teenager und fest entschlossen, eine Hormontherapie zu beginnen, die am Anfang einer Geschlechtsumwandlung steht. Ramona ist jetzt Ray. Ray skatet gerne, ist in die hübsche Spoon verliebt und möchte ein so normales Leben wie möglich führen. Seine allein erziehende Mutter Maggie unterstützt ihn, wie sie kann. Und doch fällt es ihr schwer, die entscheidende Unterschrift auf das Formular zu setzen. Maggie muss sich außerdem ihrer Vergangenheit stellen, denn auch der amtliche Vater muss seine Zustimmung geben, und Maggie hat Craig seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Während Ray also mit großer Zielstrebigkeit durch die Wirren navigiert, die seine Entscheidung auslöst, einen Blog über die Geschlechtsumwandlung führt und auch sonst mit beiden Beinen fest im Leben steht, schlagen die Wellen der anderen beteiligten Generationen hoch. Und dann taucht auch noch Onkel Matthew auf der Bildfläche auf, der sich als tatsächlicher Vater von Ray erweist.

Das hochkarätig besetzte Feel-Good-Movie zieht eine leise Komik aus sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen. Hier die ultra-liberalen, leicht chaotischen New Yorker Frauen, die in drei Generationen unter einem Dach leben, dort der Ex von Maggie, der sich in einem ebenso mondänen wie kalten Bungalow auf dem Land eine ganz konventionelle Familie aufgebaut hat. Bezeichnenderweise sind es die kleinen Halbgeschwister von Ray, die am wenigsten Probleme mit Rays geschlechtlicher Identitätsfindung haben. Die Erwachsenen verhalten sich eher unreif und melodramatisch, und damit ist vielleicht auch die zentrale Kritik an der ansonsten durchweg sympathischen Transgender Tragikomödie benannt. In dem hier gezeigten Milieu dürfte der Wunsch nach individueller Lebensgestaltung und Glückssuche kaum auf ernsthafte Hindernisse stoßen und so wirken die Konflikte im Film aufgebauscht und stellenweise auch weich gezeichnet. Vor allem, da Protagonist Ray keinerlei inneres Konfliktpotenzial aufweist. Und trotzdem fällt es leicht, der Geschichte zu folgen, was vor allem am spielfreudigen Schauspielerinnen Ensemble liegt. Nachwuchsstar Elle Fanning überzeugt als Junge Ray und rundet ihre Darstellerleistung zum Ende des Films gekonnt ab.

Der Film propagiert Offenheit und Toleranz gegenüber diversen Lebensentwürfen und geschlechtlichen Identitäten, zeigt aber gleichzeitig ein städtisches Milieu von Bildungsbürgern ohne Kanten und tiefere Konflikte. Was es für viele Menschen tatsächlich bedeutet, im falschen Körper zu leben und welchen gesellschaftlichen Widerständen sie oftmals ausgesetzt sind, wird so nur an der Oberfläche gestreift. Da liefert ein Film wie „Freak Show“ im Jugendfilmbereich, der auf der Berlinale 2017 Premiere feierte, eine weitaus tiefere emotionale Einstiegsmöglichkeit in die Thematik.

DVD Extras: Interviews, Trailer

Blu-ray Extras: Interviews, Trailer

Christiane Radeke