A 60 km/h (Cinespañol 5) (OmU)

Mario Sabah kann nicht glauben, dass es das gewesen sein soll. Er hat die 50 überschritten, ist geschieden, fühlt sich einsam, die beiden erwachsenen Söhne sind aus dem Haus. In der Kindheit haben sie am Wochenende Abenteuertrips in die Wälder gemacht, mit Marios klapprigem Citroën Mehari. Einmal werden wir um die Welt reisen, verspricht er seinen Jungs. Jetzt besinnt er sich auf diesen Traum. Aber wie soll das gehen, ohne Geld und als fahrbaren Untersatz nur der Zwei-Zylinder Mehari mit nicht mehr als 38 PS, der ganze 60 Kilometer die Stunde schafft und noch nicht mal ein festes Verdeck hat? Mario macht es einfach. Seine Söhne Matías und Ismael begleiten ihn. Mit an Bord: eine Kamera, die das Abenteuer aufzeichnen soll. Am 1. März 2007 starten die drei in Montevideo. Sie durchmessen Lateinamerika, aber bevor sich Mario mit seinem klapprigen Auto nach Europa einschifft, springen die Söhne ab. Die Widrigkeiten der Reise bringen persönliche Spannungen ans Licht, bislang war es allein Marios Projekt. Mario landet mittellos in Spanien, in Italien ist er kurz vor dem Durchdrehen. Für ihn völlig überraschend stoßen die Söhne wieder hinzu. Jetzt wird es ihr gemeinsames Projekt. Aber die Fahrt wird eine Reise der Extreme, voller Streits, existenzieller Krise, aber auch etlicher tiefer glücklicher Momente. Die drei Männer raufen sich zusammen. Ismael lernt sogar seine große Liebe kennen. Kaum zu glauben, aber sie schaffen es durch Asien, scheitern fast an Indien, dann Australien, schließlich steht sogar noch die Fußball WM in Südafrika auf dem Plan. Dem Nationalkicker Diego Lugano haben sie in Istanbul versprochen, wenn Uruguay sich qualifiziert, sind sie dabei.

Der Dokumentarfilm ist das Debüt des jungen Uruguayers Facundo Marguery und war ein großer Erfolg in seinem Heimatland. Bei der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest Mannheim Heidelberg 2015 war er der bestbesuchte Film, weltweit wurde er in über 30 Länder verkauft. Allen Widrigkeiten zum Trotz erfüllt sich ein mittelalter Mann seinen Lebenstraum. Eine Geschichte, die Mut macht und von der Sehnsucht nach Freiheit erzählt. Trotz der während der Reise selbst gedrehten Bilder im wackligen Home-Movie-Stil gelingt dem Regisseur dank Schnitt, Musikeinsatz und einem schlüssigen Erzählbogen ein mitreißender Film. Es ist eine Reise voller Höhen und Tiefen. Durch die Strapazen kommt eine wahrhaftige Familiengeschichte ans Licht, die ungeschönt Krisen und Zweifel zeigt, aber auch ebenso großartige Momente der Versöhnung und des überbordenden Glücks.

Die Cinespañol Filmtournee bringt den Film auf DVD heraus. Die Edition sucht spanische und lateinamerikanische Filme auf großen Festivals und bringt diese ohne Verleih im Original mit Untertiteln heraus. Auswahlkriterium für die Filme ist, dass sie authentisch, innovativ und unterhaltsam sein sollen. So schaffen auch kleinere Produktionen aus unbekannten Filmkulturen den Weg auf den deutschen Markt. Man kann dieser Initiative nicht genug danken, dass Filme wie dieser dem deutschen Publikum zugänglich gemacht werden. Ein kleiner, großartiger Film über eine komplett verrückte Idee und die Kraft der Träume, der in jeder Minute unterhält, und dessen heimlicher Hauptdarsteller ein altes Auto ist, den die drei Protagonisten des Abenteuers liebevoll „den Mächtigen“ taufen.

Christiane Radeke