Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel

Eine an schwarzem Humor kaum zu überbietende Szene zu Beginn dieses Films zeigt einen völlig zugedröhnten jungen Mann an einer nächtlichen S-Bahn-Station, der von einer wütenden Stimme aus dem Lautsprecher vor einem herannahenden Zug gewarnt wird. Dieser Auftakt deutet schon an, dass Ken Loach und sein langjähriger Drehbuchautor Paul Laverty erneut den Fokus auf die Schwachen und Ausgestoßenen der britischen Gesellschaft richten, aber nicht die Sozialdramatik, sondern Humor und Spaß stärker in den Mittelpunkt rücken. Robbie wurde im Leben bisher nichts geschenkt. Schon mehrfach hat er andere grundlos oder aus Notwehr brutal zusammengeschlagen und saß deswegen im Gefängnis. Mit seinen Narben im Gesicht, seiner ruppigen Art und seinem Vorstrafenregister hat er keine Aussicht auf eine Stelle. Da seine Freundin ein Kind von ihm erwartet, erhält er nach einer erneuten Schlägerei eine letzte Chance. Zusammen mit anderen straffällig gewordenen Jugendlichen muss er gemeinnützige Arbeit unter Aufsicht des gutmütigen Sozialhelfers Harry verrichten, dem alles daran liegt, seinen Schützlingen unter die Arme zu greifen. Harrys Leidenschaft ist der Whiskey – als Kenner und nicht als Trinker. Mit dieser Leidenschaft steckt er Robbie an, der mit seiner feinen Nase außergewöhnliches Talent zeigt. Um an Geld zu kommen und seiner Familie ein sicheres Zuhause zu schaffen, entwickelt Robbie mit seinen neuen Freunden einen aberwitzigen Plan. Er hat erfahren, dass in Schottland bald ein Fass mit dem teuersten Malt Whiskey aller Zeiten versteigert werden soll. Es zu stehlen wäre viel zu gefährlich. Aber ließen sich davon nicht unbemerkt ein paar Flaschen abzweigen? Wie Robbie und mit ihm die Zuschauer bei einer Führung durch eine renommierte echte schottische Whiskey-Destillerie lernen, verflüchtigt sich bei dem jahrzehntelangen Reifungsprozess in Holzfässern ein bestimmter Prozentsatz des hochprozentigen Getränks. In der Fachsprache wird er „Angel’s Share“ genannt. Einen solchen Schluck für die Engel möchten sich Robbie und seine Freunde illegal unter den Nagel reißen, ohne damit wirklich jemandem zu schaden. Vor dem gesellschaftlichen Hintergrund rivalisierender Gangs in den Straßen von Glasgow, allgegenwärtigen Vorurteilen gegen Menschen am Rande der Gesellschaft und mit einer Fülle an tragikomischen bis absurden Ereignissen wirft Loach einen ironischen Blick auf den Hype um das Geschäft mit edlem Whiskey und vermittelt zugleich die ungebremste sinnliche Faszination daran. Darüber hinaus ist sein Film ein warmherziges Plädoyer für mehr Toleranz und Menschlichkeit sowie ein Mut machendes, alkoholfreies Trostpflaster für alle, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. DVD-Bildformat: 1:1,85; 16:9 Ton: Dolby Digital 5.1 Sprachen: Deutsch, Englisch Untertitel: Deutsch, Englisch DVD-Extras: Entfallene und erweiterte Szenen, Making of, Trailer

Holger Twele