1 Meter 20

Serienstart:
07.12.2021
Staffel:
1
Folgen:
6
Länge der Folgen:
ca. 15 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 16 Jahren
FSK-Freigabe:
keine Angabe
Regie:
María Belén Poncio, Rosario Perazolo Masjoan, Damian Turkieh
Darsteller:
Marisol Agostina Irigoyen (Juana), Florencia Licera (Julia), Marcio Ramses (Efe), Natalia Di Cienzo (Diana), Francisca Spinotti (Elena)
Genre:
Jugend
Land:
Argentinien, Frankreich, 2021

Wenn wir über Filme und Serien sprechen, sprechen wir meist darüber, was wir dort gesehen haben. Weniger oder gar nicht Thema ist das, was wir gar nicht erst zu sehen bekommen. In der ARTE-Mediathek bricht die argentinisch-französische Miniserie „1 Meter 20“ nun mit einem (filmischen) Tabu. Denn sie erzählt nicht nur davon, dass Juana, die aufgrund ihrer Behinderung im Rollstuhl sitzt, von ihrem ersten Mal träumt, sondern sie zeigt auch, wie die 17-Jährige dieses erlebt.


Worum es genau in „1 Meter 20“ geht:


Ihre lockigen Haare sind blaugefärbt, die Lippen rot angemalt, die dunklen Augen betont mit einem Kajalstift. Dann entfernt sich die Kamera von Juanas Gesicht und wir sehen, dass sie auf einem Toilettenstuhl sitzt. Ihre Mutter hebt sie hinüber in ihren Rollstuhl. Juana kann lediglich ihre Hände und Unterarme bewegen und ist deshalb in bestimmten Situationen auf Hilfe angewiesen. Zusammen mit ihrer Mutter Diana und der Schwester Elena lebt sie in Cordoba, der zweitgrößten Stadt Argentiniens. Gerade sind die drei umgezogen, damit Juana eine Schule besuchen kann, in der sie sich wohl fühlt. Für die hübsche 17-Jährige läuft in der Anfangszeit zwar nicht alles glatt, schon bald aber freundet sie sich mit der rebellischen Julia und dem ebenso exzentrischen Efe an. Beide kämpfen um die Einführung eines modernen Sexualkundeunterrichts, in dem es nicht nur um Liebe als „eine Verbindung zwischen Mann und Frau“ geht, sondern wo Diversität und damit das Selbstwertgefühl gefördert wird. Juana schließt sich den beiden an und entwickelt sich schnell zur Sprecherin der ganzen Truppe.

Und dann ist da noch diese eine Sache, die Juana unbedingt in die Tat umsetzen will: Sex. Wie es mit dem Typen lief, fragen sie ihre Freund*innen. Juana antwortet frech: „Wir haben gefickt, bis er nicht mehr gehen konnte. Er musste im Rollstuhl heimfahren“. Alles gelogen! Denn mit Thiago, mit dem sie sich über eine Dating-Plattform verabredet, hatte sie nur fast ihr erstes Mal. Nur fast, weil Thiago letztlich doch damit überfordert war, dass mit Johanna Sex haben in diesem Moment auch Gurt lösen, sie herausheben, ihren Kopf zurechtrücken heißt. Beim zweiten Versuch ist es dann aber soweit. Auf einer Party lernt Juana den sympathischen Leandro kennen und verbringt mit ihm die Nacht in dessen Minibus. Doch einen Monat später macht sie sich große Sorgen, weil ihre Regel ausbleibt. Zum Glück kennt ihre Freundin Cami zwei Gesundheitshelferinnen, die schwangere Frauen in Not unterstützen. Sie können Juana beruhigen: Der Test ist negativ. Indessen hat die Gruppe um Julia und Efe eine Protestaktion auf einem Gerüst organisiert. Unmöglich für Juana mit ihrem Rollstuhl dort hoch zu gelangen. Sie fühlt sich ausgeschlossen und streitet sich mit Julia. Als sie sich dann auch noch mit einem Lehrer anlegt und meint, dass sie „ficken und abtreiben kann, wie sie will“, ist sie das Thema Nummer Eins in den sozialen Medien.


Was die Serie so sehenswert macht:


In nur sechs Folgen á 15 Minuten erleben wir jede Menge! Alles ist bunt, flimmernd und rasant, mit schnellen Schnitten, kurzen, knackigen Dialogen (als deutsche Untertitel) und verschiedenen visuellen Effekten. Da werden die Textnachrichten von Juanas Smartphone eingeblendet, da schlängeln sich farbige Animationen um die Körper in erotischen oder auch gefühlvollen Szenen. Überhaupt wird ganz unbefangen dargestellt, dass eine Person mit Behinderung (Lust auf) Sex hat. Damit bricht die Serie ein absolutes Tabu und behandelt trotz der knappen, lockeren Erzählweise solch große Themen wie Inklusion, sexuelle Selbstbestimmung und Diversität.

Dadurch, dass die Geschichte aus Juanas Blickwinkel erzählt wird, erfahren wir viel über ihren Alltag. Zum Beispiel, welche Hürden ihr begegnen und in welchen (intimen) Situationen sie Hilfe, etwa eine Person an ihrer Seite braucht. Auch die Vorurteile, denen Juana ausgesetzt ist – insbesondere dann, wenn es um Sex geht – bekommen wir hautnah mit. So kommt selbst ihre Mutter nicht auf die Idee, dass Juana sexuelle Bedürfnisse hat, geschweige denn, dass sie ihnen nachgeht. Völlig fassungslos ist sie, als sie erfährt, dass Juana glaubt, schwanger zu sein. Auch die Lehrkräfte an der Schule und einige Presseleute zeigen für Juanas Bedürfnisse wenig Verständnis. Ihnen wirft die junge Frau vor: „Wenn man nicht mit einem Normkörper geboren wurde, hat man sich rauszuhalten“. Gespielt wird die selbstbewusste Juana von Marisol Agostina Irigoyen, die selbst im Rollstuhl sitzt, was in Filmen über Menschen mit Behinderung immer noch eine Besonderheit ist. Die Newcomerin ist in jedem Fall ein Glücksfall für dieses Projekt. Mit ihrer sympathischen, einnehmenden Art trägt sie die Serie. Dass sie zu ihrer Körperlichkeit steht und das auch so in Szene gesetzt wird, macht diese Miniserie so besonders.

Barbara Felsmann

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Sprachen: OmdtU

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (49. Woche 2021).